Werner Deichmann      

 

Erinnerungen

Alter ist kein Verdienst. Es ist aber schön, auf vieles Erlebte zurückzublicken. Auch wenn nicht alles schön war. Geboren 1931, aufgewachsen in der Nazizeit, die Schulzeit großenteils in Thüringen verbracht, den Wiederaufbau voll miterlebt und mit angepackt.

Meine Aufsätze

Den erhobenen Zeigefinger wird man hier nicht finden. Meine Gedanken, die ich hier in Wort und Schrift bringe, sind für die bestimmt, die mich eine gewisse Strecke meines Lebens begleitet haben. Und für die, die es interessiert.

Das Internet

Ein alter Freund hat mich hier hinein gestellt. Ohne zu fragen. Ob ich das eigentlich will, weiß ich selbst noch nicht. Aber ich erreiche jetzt eine Menge Leute, die, ob sie wollen oder nicht, etwas über sich erfahren. Viele Weggefährten habe ich gehabt. Nicht alle waren meine Freunde, denn ich war nicht bequem, allerdings auch kein Anhänger des "Kategorischen Imperativs" .

 

 

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nach oben Wie der Spar- und Bauverein meine "Zweite Heimat" wurde
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1931 bin ich in Solingen geboren, meine Eltern lebten in einem tristen Mietshaus am Ende  der Kasinostraße.  Zwei Zimmer, vier Personen!

Da entwickelte ich als Kind – ich glaube, man kann es verstehen – schon früh Sehnsucht nach dem, was man heute „besseres Wohnumfeld“ nennt.

Gut erinnere ich mich, 1936 als kleines Kind vor einer hohen grauen Mauer stehen zu müssen, die mir den Zutritt zur grünen Wiese der Häuser des Spar- und Bauvereins an der Klauberger Straße 34/36 verwehrte. Diese waren für mich irgendwie „paradiesisch“:

Denn in den Wohnungen meiner Spielkameraden sah ich zum ersten Mal richtige Badewannen mit einem Ofen für warmes Badewasser. Und jede Familie hatte ihre eigene Toilette. Wir dagegen stellten am Freitag die Zinkwanne mitten in der Küche und den großen Einkochkessel mit Wasser auf dem Herd. Die Toilette im Treppenhaus, eine halbe Etage tiefer, mussten wir uns mit einer anderen Familie teilen. Eis- oder Luftschränke, beim SBV schon damals Standard, kannten wir ebenfalls nicht.

Während die Kinder, die in den Spar- und Bauvereins-Häusern wohnten, sich auf herrlichen Spielanlagen, wie am Weeger- oder am Kannenhof, austoben konnten, sah ich mich auf einen staubigen Aschenplatz zwischen grauen Hauswänden und Mauern eingezwängt.

Was mich damals ärgerte waren die zänkischen „Bauvereinsfrauen“, die uns „fremde Kinder“ von den Spielplätzen jagten. - Da gab es z.B. an der Ecke Klauberger/Wupperstraße einen kleinen Spielplatz mit einem großen alten Schleifstein. Weiter standen da einige Bänke und da lag, was für uns so wichtig war, ein großer Sandhaufen für das Spielen mit Schüppchen und Förmchen. Hier ist mir eine Bewohnerin von der Wupperstraße, deren Ehemann im Keller eine Heimarbeiterwerkstatt hatte, noch immer in Erinnerung. Die verscheuchte uns  Fünfjährige vom Spielplatz: „Ihr gehört hier nicht her. Spielt da, wo ihr herkommt.“ - .

So etwas brennt sich in ein Kindergedächtnis schon ein. Ich fühlte damals ausgegrenzt, das nagt in mir bis heute. Ein schreckliches Erlebnis – und ich frage mich schon lange und immer intensiver: Geschieht heute nicht gleiches, wenn wir die Kinder von Migranten als „Fremde“ betrachten. Wenn wir sie als vermeintlich Privilegierte ignorieren oder ausgrenzen? Kinder brauchen Identität, „Heimat“. Sonst nimmt ihre Seele Schaden.

Bei mir war das wohl so, denn noch heute sind mir die Obmänner in den Siedlungen in intensiver Erinnerung. Mit erschienen sie als „Kinderschreck“, wie Polizisten ohne Uniform. Aus meinem Blickwinkel des Kindes schien ihre einzige Aufgabe darin zu bestehen, uns von dem Rasen zu jagen.

Meine Mutter schwärmte davon, eines Tages im „Bauverein“, wie es kurz und bündig hieß, zu wohnen. Für mich war das wie ein Widerspruch, wo doch da so viele „hässliche und gemeine“ Menschen wohnten, die immer hinter uns Kinder her waren.

Wenn ich dann mit der Mutter zu Besuch bei der „Tante“ Liane in der SBV-Siedlung Weegerhof, auf der Weinsbergtaler Straße, war, fiel auch mir die Ordnung in den Häusern und Siedlungen auf. Der „Onkel“ Hermann erzählte mir, dass im Bauverein jeder Miteigentümer sei. Schon deshalb sei ein jeder am Erhalt des genossenschaftlichen Eigentums interessiert. Das machte irgendwie großen Eindruck auf mich. So reifte meine Überzeugung, dass ich, trotz der fiesen Aufseher, eines Tages beim Bauverein wohnen werde.

Nach der Erzählung meiner Mutter war es aber unmöglich, 300 Reichsmark für einen SBV-Anteil aufzubringen, auch nicht in Raten. Dazu kam, dass damals in der Weltwirtschaftskrise, so ab 1928, in den Genossenschaften kaum noch neue Wohnungen gebaut wurden, weil das notwendige Eigenkapital nicht vorhanden war.

Als Kind konnte ich aber nicht wissen, wie die Zusammenhänge damals waren:

Aus den Aufzeichnungen des SBV entnahm ich dann später, dass die Nazis ab 1933 begannen, fast alle Funktionsträger der Genossenschaften aus ihren Ämtern zu jagen, die nicht zur braunen Ideologie standen. Diejenigen, welche  dann das Sagen hatten, waren in der Regel Menschen ohne traditionelle Beziehungen zur Genossenschaftsidee. Die bewährte Selbstverwaltung wurde durch das Blockwart/Führersystem ersetzt. Demokratie fand nicht mehr statt, und soziale Einrichtungen, wie Spar- oder Sterbekasse, der Genossenschaft wurde geschlossen. Als Folge, wegen der  fehlenden Eigenmittel, wurde der benötigte Wohnraum für Mietwohnungen noch knapper.

Statt Mietwohnungen wurden entsprechend der NSDAP-„Blut- und Boden-Ideologie“ Eigenheime mit cirka 2500 qm Grabeland gebaut, die in Solingen unter dem Begriff „SA-Siedlungen“ bekannt wurden – eine davon beispielsweise am Brühler Berg.

Ab 1936 wurden Baustoffe für das Bauen von Wohnungen zunehmend knapper. Der Bau von Bunkeranlagen am sogenannten Westwall oder Luftschutzbunker hatten Vorrang. So ist es denn kein Wunder, dass der SBV seine Neubautätigkeit ganz einstellte – und meine Mutter ihren Traum von einer Bauvereins-Wohnung begraben musste.

Im Krieg hatten wir das Glück, ein Dach über unseren Köpfen zu haben, auch  wurden wir nicht total ausgebombt. Die Sorge ums tägliche Überleben stand im Vordergrund, bestimmte alles. Auch wenn wir verdammt wenig hatten, eigentlich arm waren, waren wir dennoch  mit einer festen Wohnung „reicher“ als viele unserer ausgebombten Bekannten von der Cäcilien- oder Paul-/Florastraße, die außerdem tote Angehörige als Folge der Bombenangriffe zu beklagen hatten.

1945, als der braune Spuk vorbei war, so können wir den Dokumenten des SBV entnehmen, fing auch beim Bauverein wieder die Normalität an. Die vertriebenen Genossenschafter wurden wieder in ihre alten Funktionen eingesetzt. Diese damals ausgeschlossenen und jetzt nicht mehr im SBV wohnenden Genossenschafter mussten zunächst versorgt werden. Dazu kam, dass ungefähr 1000 Wohnungen durch den Krieg zerstört wurden – gewaltig viel war zu tun.

1952 lernte ich meine heutige Ehefrau Ingeborg kennen. 1954 wurden wir gemeinsam Mitglied im SBV. Eine eigene Wohnung bekamen wir in dieser Zeit trotzdem noch nicht, obwohl wir im Dezember 1955 heirateten. Da gab es unzählige berechtige Wohnungsbewerber, wie Vertriebene, Bombengeschädigte oder Spätheimkehrer, die vor uns „dran waren“. Endlich, nach vielen vergeblichen Bemühungen, erhielten wir eine Neubauwohnung auf der Glockenstraße. Wir fühlten uns als Könige.

Als wir Kinder bekamen, brauchten wir mehr Platz. So zogen wir zunächst zur Damaschkestraße um. Als „Erstbewohner“ zogen wir  in die Neubauten an der Hasseldelle, wo wir bis heute (gerne) wohnen.  Es war eine Siedlung, in der wir Bewohner durchaus Planungsversäumnisse ausbaden mussten. Mit Hilfe unserer Bürgerinitiative (später WIR in der Hasseldelle) und den Organen des SBV gelang es dann im Laufe der Zeit, unsere Siedlung zu einem lebenswerten Quartier zu gestalten. Das waren zwar Jahre harter Arbeit, die aber doch wegen der Erfolge  Freude bereitete.

Als überzeugter Genossenschafter muss ich wohl nicht besonders darauf hinweisen, dass alle Kinder, Enkel- und Patenkinder am Tage ihrer Geburt von uns einen Bauvereinsanteil mit dem obligatorischen SBV-Sparbuch in die Wiege gelegt bekamen – folglich wohnen sie zum Teil auch in Wohnungen des SBV.

Selbstverständlich liegt unser Erspartes bei unserer SBV-Sparabteilung. Und das nicht nur wegen der höheren Zinsen, sondern weil jeder Euro, der dort angelegt wird, unserer Genossenschaft wieder zu Gute kommt.

Die Frage nach einem eigenen Haus stellte sich bei uns zu keiner Zeit. Nach unserem Selbstverständnis betrachten wir uns bis zum heutigen Tag als Miteigentümer unseres Spar- und Bauvereins.

Als 4-jähriger (siehe Foto) konnte ich damals nicht ahnen, dass ich einmal als Vorstandsmitglied dieser größten Rheinischen Genossenschaft meine genossenschaftlichen Aktivitäten beendete. Hartes Ringen um Veränderungen und Kompromisse, mancher Strauß war auszufechten. Aber immer mit dem klaren Ziel, den Bewohnern ein liebens- und lebenswertes Zuhause zu schaffen. Mein Gefühl von damals, dass ein SBV-Haus ein Tabu für andere sei, sollte sich nie bei anderen einstellen. Im Gegenteil: die Idee einer Wohngenossenschaft ist und bleibt für mich „heilig“.

Ich bin gespannt, ob spätere Generationen mich deswegen als einen Idealisten oder eklatant hartnäckigen Einmischer einstufen. Irgendwie war und bin ich wohl beides. Aus Gründen, die bis in meine frühen Kindertage zurückreichen.

www.sbv-solingen.de/sites/geschichte.html

 
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Erst heute wird mir so richtig bewusst, wie sehr der Spieltrieb von Kindern durch diese  Verdichtung des Siedlungsraumes und das heute existierende Verkehrsaufkommen eingeschränkt worden ist.

Bis 1950 hatten Autos in unserem Quartier Seltenheitswert. Sommers und Winters konnten wir uns auf unseren Straßen austoben.

Besonders im Winter waren Klauberger- und Margaretenstraße beliebte Rodelbahnen. Unsere „Wartburg“ war die beste Schlittenbahn weit und breit. Sie führte von der  Schillerstraße die Margaretenstraße hinunter. Die dort vorhandene Querrille und ein offener Regenwassergraben waren nicht ungefährlich und Stürze gehörten einfach dazu. Der hier herrschende Rodelbetrieb an Wochenenden ist heute nicht mehr vorstellbar. Auch Nichtklauberger wurden dann mehr oder weniger von uns  „geduldet“. Bis auf eine Ausnahme, die ich als „Zuschauer“ erlebte:

An einem Winterabend 42/43 kamen mehrere HJ Führer aus der Innenstadt mit ihren Freundinnen zum Rodeln. Ihr arrogantes Auftreten ärgerte einige Klauberger Jungs, die wohl alle ihren Stellungbefehl für die Wehrmacht bereits in der Tasche hatten. Während die HJ Führer mit Anhang ihre Schlitten bergauf Richtung Schillerstraße zogen, organisierten die Jungs Material von der SA Reitbahn und bauten kurz vor dem Auslauf, beim Breuhaus Baumhof, eine Barrikade. So kam, was kommen musste: Das Schlittengespann krachte in voller Fahrt auf das aufgetürmte Hindernis. Die Verletzen mussten anschließend im Krankenhaus behandelt werden.  Im Klauberg ließen die sich nie mehr sehen.

Eine andere Bahn war die Klauberger Straße, die wir sowohl vom Kapellchen an der Wupperstraße als auch von der Gärtnerei Dammers ins Klauberg befahren konnten.

Die Ferres Wiese an der Klauberger Straße – da stehen jetzt  seit über 5o Jahren Bauvereinshäuser – war ebenfalls zum Rodeln gut geeignet.

An Schlitten hatten wir die, noch heute gebräuchlichen, „Davos“ Zwei- oder Dreisitzer im Gebrauch. – Ich war besonders stolz auf meinen Schlitten, der noch von meinem Vater stammte. Der Opa hatte besonders hartgeschmiedete Stahlkufen auf die Laufflächen eingepasst und mit einem glühenden Eisen unseren Familienamen mit der Jahreszahl 1910 auf eine der Holzlatten gebrannt. – Das war übrigens das Jahr, wo die Deichmanns im Petersklauberg abbrannten. Nur der Schlitten wurde aus der Ruine gerettet. –

Hörnerschlitten oder BOBschlitten waren zwar schöner aber auch wesentlich teurer. Deshalb konnten wir von solchen Exemplaren nur träumen.

Wer besonders schnell sein wollte, der saß auf einem Fötter – auf Platt Fottschlieden (auf Hochdeutsch Gesäßschlitten) und lenkte mit seinen Schlittschuhen. Ganz Verwegene fuhren mit der „Buckwell“ (Bauchwelle), also im Skeletonstil die Wartburg herunter.

- Der Fötter ist ein Einsitzer mit einer Grundfläche von B 40 cm x  L 50 cm. Die seitlichen massiven Holzwangen haben an der Lauffläche dicke Stahlkufen. Weitere Holzstreben hielten die Wangen zusammen und stabilisieren den Schlitten. Der eigentliche Sitz war die obere Abschlussplatte, mit den oben aufgeführten Maßen.

Das Fahren mit dem Fötter wollte gelernt sein. Sie sind erheblich schwerer und schneller als herkömmliche Schlitten. Gerne wurden sie als Lenkschlitten an zusammen gebundenen Schlitten verwendet. Dann saß der Lenker mit seinen Schlittschuhen vorne und lenkte das Ganze. Das ergab dann recht hohe Geschwindigkeiten.

Auf der Pott’s Wiese am Pottshaus, wo aber mehr Schilauf stattfand, steht heute ebenfalls seit über 50 Jahren die SBV Papageiensiedlung. - Den Namen erhielt sie durch die verschiedenen Farbanstriche der Hauseingänge -

Das mit den Schiern war schon etwas abenteuerlicher, und wir hatten natürlich kein Geld für solch teuren Wintersportartikel. Daher hatten wir als Kinder Fassdauben von Sauerkraut- oder Heringsfässern unter den Füßen. Die  Laufflächen wurden mit einem Hobel geglättet, und besonders Pfiffige versuchten mit Dampf und Schraubzwingen die gewölbten Dauben etwas zu begradigen. Der Vater meiner Mutter, also mein Opa, war ein geschickter Lederhandwerker. Er montierte mir so ne Art von Ledergamaschen an die Bretter und fertig waren die Bretter. Zwei Knüppel ergänzten dann die Ausrüstung. Wenn dann noch genügend Kerzenwachs aufgetragen wurde, dann konnte man damit ganz leidlich den Berg hinunterrutschen.

Eine freudige Überraschung brachte mir mein Onkel Werner im Kriegswinter 1942/43 aus Russland mit. Das waren ein Paar Ski von 1.90m aus massivem finnischem Birkenholz. Selten hat mich ein Geschenk mehr erfreut als diese Skier. Endlich konnte ich meine Fassdauben verschenken und mit richtigem Skilaufen anfangen. Ich bin noch heute meinem Patenonkel dankbar.

Ab da konnte ich bei guten Schneeverhältnissen auf der Jagenberger Wiese an der Kastanienallee der  Hasseldelle Skilaufen. Auf dieser idealen Hangwiese liefen dann viele Solinger Schi und übten Stemmbogen, Schneepflug, Telemark- oder den Christianiaschwung.

-Als wir im November 1943 wegen der Bombardierungsgefahren mit der Schule nach Tabarz in Thüringen, im Rahmen der Kinderlandverschickung, verlegt wurden, da kamen die Ski natürlich mit. Dieser herrliche Thüringer Wald war schon damals ein Skilaufparadies, was wir entsprechend ausnutzen. -

Wer lieber Schlittschuhlaufen ging, der fand auf der „Huhburg“ – einem Teich mit einer kleinen Insel in der SBV Siedlung Kannenhof ausreichende Gelegenheit. Hier sah ich zum ersten Mal, wie man das Eis durch „Börmen“ dicker macht: Beim sogenannten Börmen, das wahrscheinlich vom mundartlichen Borm = Boden stammt, wurden mit der Hacke das Eis an den Teichrändern aufgeschlagen. Das nun herauftretenden Wasser lief über die Eisfläche und gefror sofort. Dadurch wurde die Eisdecke dicker und sicherer.

Wer nur auf einer Eisbahn schlittern wollte, der goss einfach ein paar Eimer über einen glatten Weg und fertig war die „Litschbahn“.

Unfallverhütungsvorschriften, die heute bei allen Anlässen aufgestellt werden, kannten wir nicht. Wer auf die Nase fiel, war selber schuld. Man musste eben aufpassen.

Das Rodeln ist auf den Straßen heute unvorstellbar und das Schlittschuhlaufen auf den öffentlichen Teichen ist verboten. An Litschbahnen auf den Gehwegen will ich erst gar nicht denken.

Heute gibt es sofort Leserbriefe in der Tageszeitung oder die Polizei wird umgehend  gerufen, wenn spielende Kinder lärmen. Das meistens von Menschen, die das wie ich, alles noch erlebt haben. Reicht es nicht, wenn überall Bedenkenträger das Sagen haben? Müssen wir heute auch ein Volk ein Volk der Angsthasen werden?

Ach ja: Noch etwas: Markenklamotten hatten wir keine und mit dem, was wir hatten, waren wir auch zufrieden.

Zufriedenheit ist wohl heute ein Fremdwort geworden.

 

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"Was habt ihr denn außer Camping sonst noch gemacht?“
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So fragte mich mein Enkelkind Simone, als sie meine ersten Aufsätze gelesen hatte. Dann erzählte ich ihr etwas ausführlicher über unsere Jugendzeit bis 1952:

„Wir lebten mit unseren Eltern alle in sehr bescheidenen und beengten Verhältnissen. Als Mangel empfanden wir das nicht und schafften eigene Freiräume zum Ausleben“. „Die Zeiten, in denen wir damals groß wurden, waren anders als heute. Im Gegensatz zu Euch kannten wir weder PC, Handy, Taschenrechner, Fernseher oder Auto“ antwortete ich ihr zunächst und ergänzte: “Dann wurden wir vor 60 Jahren auch nicht von morgens bis abends mit Dudelmusik zugedröhnt. Kommerzielle Fernsehsender fehlten gänzlich. Mehr oder weniger blödsinnige Werbenachrichten behinderten uns auch nicht beim eigenen Denken. Dazu kam, dass Konsumidiotie aus Geldmangel erst gar nicht aufkam. Das ist das Eine. Das Andere lag sicher in der Tatsache, dass wir uns nach all den entbehrungsreichen Jahren des Krieges und der Nachkriegszeit unsere eigenen Ideen ausleben wollten. Auf Werbung konnten wir da gut verzichten“.

Die „Insellage von Klauberg“, als Folge des ausgeprägten Solinger Hofschaftdenkens, trug wahrscheinlich dazu bei, dass wir, ein Dutzend Jungens aus der Nachbarschaft, kaum Kontakte zu den übrigen Jugendlichen Solingens hatten. Zu uns verirrte sich kaum jemand, und wir blieben lieber bei uns im „Loch“ und hatten die naheliegenden Büsche und Banden, zwischen Hasseldeller- und Theegartener Kopf bis nach der Papiermühle an der Wupper, für uns alleine.“

Natürlich hatten wir auch in unseren Flegeljahren Unsinn im Kopf und ich war einer der Rädelsführer beim Aushecken von Streichen:

  • Mit dem Werner Bungartz aus unserer Clique wettete ich, dass er einen metallenen Spazierstock nicht in die Freilandleitung des RWE, die vor dem Haus der Familie Evertz (heute Agnesweg) vorbei lief, werfen könne. Ich verlor: Nach mehreren ergebnislosen Versuchen blieb die Krücke tatsächlich an der oberen Leitung hängen und berührte die beiden darunter hängenden Drähte. Das gab ein wunderbares Funkenwerk. Dann war das ganze Klauberg  ohne Strom. Der Werner machte ein dummes Gesicht. Ich war‘s nicht; aber dabei.
  • Dem Musikdirektor Issig stellten wir eine große, mit Wasser gefüllte, Milchkanne, die wir uns beim Bauer Ferres „ausgeliehen“ hatten, schräg an seine Haustüre. Als sich diese dann öffnete, kippte die Kanne um, und der Inhalt ergoss sich in den Flur. -Scheinbar sollte ich der Anführer gewesen sein.-
  • Der Rolf Leckebusch war ein „begnadeter“ Bastler. So bauten wir auf unserem Sportplatz unter seiner Anleitung aus einem alten Munitionshandkarren, einer dicken Astgabel, zugeschnittenen Autoschläuchen und einer alten Ledertasche eine wunderbare große Schleuder. Mit der konnte man tatsächlich halbe Ziegelsteine cirka 50 m weit schießen. Wir beschädigten damit sogar die Spalierlatten an Frau Müllers Gartenlaube. Die gute Frau, die auf uns immer nen „Pick“ hatte, erhob ein großes Geschrei. Leider war ihr unser Tun nicht verborgen geblieben. Sie hatte aber keinen von uns richtig erkannt. Deshalb verliefen die „Untersuchungen“ im Sande.

Vom Spielen mit den herumliegenden Munitionsbeständen hielten wir nicht all zu viel. Andere hatten da weniger Angst:

  • Dem neugierigen Werner Bungartz flog eine selbstgebastelte Pulvermischung aus einer 2 cm Geschosshülse um die Ohren. Die Brandspuren waren ihm noch Jahre danach ins Gesicht gebrannt.
  • Der Horst Weeser verkrüppelte sich die linke Hand als ihm eine Handgranatensprengkapsel, die er nicht als eine solche ansah, in der Hand explodierte.
  • Dann gab’s da Jugendliche, die zerlegten aus den Granatenstapeln der herumstehenden 8.8 Flakgeschütze die Granatenkartuschen. Das sich dort befindende Stangenpulver (sah aus wie schwarze Maccaroni) wurde für allerlei Knalleffekte gebraucht. Der tägliche Umgang mit der Gefahr stumpfte zwar ab. Uns war das trotzdem zu gefährlich.

Im Übrigen bestanden unsere Jugendjahre nicht nur aus Zelten und Radtouren.

  • Wir bauten Baumbuden und holen uns das Bauholz dafür aus den naheliegenden Wäldern.
  • Wir betätigten uns als Holzfäller, damit wir was daheim zum Heizen hatten.
  • Wir richteten Blitzkistenrennen und Rundstreckenläufe mit einer sehr großen Beteiligung aus. – Der August berichtete darüber –
  • Wir gründeten den Fußballclub „ Einigkeit Klauberg“ und bauten die ehemalige SA Reitbahn für unsere Bedürfnisse um. (siehe Bericht vom August Scheidtmann)
  • Ich spielte Fußball beim SV Kohlfurt und im BSV Solingen 98 Handball und  berichtete bereits darüber.
  • Mit dem Friedhelm Deller besuchte ich dann auch regelmäßig die Fußballspiele der TSG Vohwinkel 1880 im Wuppertaler Stadion. An die Spieler Braatz, Baltruschat oder Gemecker erinnere ich noch sehr gut. Manches Mal reichte das Fahrgeld nur von Solingen bis Vohwinkel. Dann liefen wir eben bis zum Stadion zu Fuß. Einige Male ging das auch zu Fuß vom  Klauberg an der Wupper vorbei bis zum Stadion und wieder zurück.
  • Die Wuppertaler Steherrennen waren ebenfalls Veranstaltungen, die uns anzogen. Die Fahrer Lohmann, Schorn und Bautz waren damals in aller Munde.
  • Die Radrennen des RV “Schwalbe“ rund um Vorspel oder rund um unser Revier, den Monte Kasino, wo Abertausende von Zuschauern dabei waren, war auch für uns Pflicht, dabei zu sein. An Namen wie Trott, Sennlaub, Süß oder Willi Mihm (Der ist inzwischen über hundert Jahre alt und wohnt in meiner Nachbarschaft) kann ich mich noch sehr gut erinnern.

Es zog uns daher aber auch zu Vereinen hin:

  • Wir gründeten 1948 den Kegelclub „Klapp drei“ auf der Kegelbahn des Bauern Franz Ferres im Hohenklauberg. Selbstverständlich wurden wir Mitglied im Verband Solinger Kegler und beteiligten uns an den damals populären Klubwettkämpfen. Weil wir  im Verband mitwirken wollten, wurden der August Scheidtmann (mal wieder als Kassierer) und ich in den Verbandsvorstand (mal wieder als Schriftführer) gewählt.
  • Ende der vierziger Jahre war ich bereits bei den Naturfreunden eingetreten und wurde bereits nach wenigen Monaten zum Jugendleiter gewählt. -Wahrscheinlich auch hier, weil ich mich mal wieder bei den Heimabenden zu Wort gemeldet hatte -

Bereits in den folgenden  ersten Wintermonaten besuchte ich mit dem Willibald Mybes vier Wochenendlehrgänge über „Lebensfragen junger Menschen“ in der Ratinger Jugendherberge. – Das waren immerhin fast drei Stunden mit der Straßenbahn, dem Zug und dem Anmarsch zu Herberge, die außerhalb Ratingens lag - Der Referent Dr. Henner Berzau, ein Kinderarzt aus Köln, „klärte“ uns auf und lehrte uns Dinge, von denen ich bis dahin keine Ahnung hatte, und die mir bis heute noch nützlich sind.

Selbstverständlich beteiligte ich mich am Wiederaufbau der Theegartener Hütte, welche die Nazis nach 1933 denen enteignet hatte. Die HJ als Nutzer hinterließ einen Trümmerhaufen.

Als ich die Ingeborg Flores 1952 kennlernte, mit der ich nun seit 57 Jahren verheiratet bin, da ging das mit mir bei den Naturfreunden zu Ende. (Ihre Eltern waren von meinen sozialistischen Umtrieben nicht begeistert)

 

  • Nachdem ich meine Lehre beendete, wurde ich Mitglied bei der Volksbühne. Hier hatte ich für einen geringen Beitrag Zutritt zu Kulturveranstaltungen. Meine erste Oper, die ich erlebte, war Lorzing‘s Wildschütz. An die Sänger Matti Berben, Werner Becker und Alfons Holte kann ich mich noch gut erinnern.
  • Der August Scheidtmann nahm 1952 mit einem Lied seines Vaters am Karnevalsschlagerwettbewerb im Rheinischen Hof teil. Leider half unsere lautstarke Unterstützung nicht viel. Der August kam unter „ferner liefen“ ins Ziel.

- Der August berichtet darüber ausführlich. -

  • Diese Veranstaltung führte zum Eintritt in die KG Muckemau. Kaum war ich dabei und hatte die ersten Wortbeiträge abgeliefert, da hatte ich wieder ein Pöstchen als Schriftführer am Hals. Das ging dann so lange, bis mir das alles zu viel wurde.
  • Als dann der August uns den Eintritt in die Höhscheider Stadtkapelle schmackhaft machen wollte, da machten wir nicht mit. „Dicke Backen Musik“ war für uns doch nicht das Richtige. Und alleine wollte der Äu die Tuba auch nicht blasen. Es blieb daher bei seinen Anwerbungsversuch.

„1952 lernten Deine Oma Ingeborg und ich uns kennen.1954 heirateten wir. Ich zog aus dem Klauberg fort und blieb trotzdem immer dort verhaftet.

Vielleicht war das auch der Grund dafür, warum 1971 die neue SBV Siedlung Hasseldelle, also in räumlicher Nähe zum Klauberg, das neue Zuhause wurde und ich daher „minnem aulem te Hejim“, verbunden blieb.“

 
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Warum ist diese Radtour aus 1950 für mich bis heute noch so präsent?

Ist es mein Langzeitgedächtnis? Kann es damit zu tun haben, dass wir in der Volksschule in den ersten Klassen gut in Heimatkunde, Geschichte und Musik unterrichtet wurden?

Liegt es vielleicht an meiner alten Kippa mit den vielen Stocknägeln als Andenken?

Oder doch am viel besungenen Deutschen Rhein mit seiner beeindruckenden Landschaft?

Liegt es daran, dass diese erste Tour ohne die Obhut der Eltern war? Oder auch deshalb, weil wir immer wieder  Erinnerungsgespräche führten.

Leider kann ich den Rolf und Sisi nicht mehr fragen. Sie sind nicht mehr unter uns.

Um es vorweg zu sagen:

  • Unsere Ausrüstung war für eine solche große Fahrt ungeeignet.
  • Was für gelegentliche Übernachtungen an unserer Lingesetalsperre taugte, passte aber nicht für eine Wanderfahrt mit dem ständigen auf- und abbauen.
  • Aus Geldmangel hatten wir Luftmatratzen, Schlafsäcke und einen vernünftigen Kocher nicht dabei. Dabei wäre das unentbehrlich gewesen.
  • Das Zubereiten einer warmen Mahlzeit in der freien Natur auf einer offenen Feuerstelle erwies als sehr aufwendig. Alleine das Kochen für den Malzkaffee dauerte ewig. Deshalb gab‘s meistens nur kalte Küche.
  • Neues Kartenmaterial hatten wir natürlich nicht. Aus meinem alten Atlas und der Straßenkarte aus 1946 hatte ich mir unsere Strecke herausgeschrieben. Die sollte Linksrheinisch rauf und Rechtsrheinisch wieder nach Hause gehen.

Da machte der Siegfried Müller einen weiteren Vorschlag: Er war mit seiner Mutter und seinen Geschwistern im Krieg in die Schnee-Eifel nach Oberbettingen geflüchtet. Dort hatte er sich auch als Messdiener nützlich gemacht und kannte daher das ganze Dorf.

Die Aussicht, bei Bauersleuten zunächst mal über Nacht unter zu kommen, gab den Ausschlag.

Also machten sich 1950 der Siegfried Müller, der August Scheidtmann, der Rolf Feldhoff und ich uns in den Ferien auf den Weg durch die ehemalige preußische Rheinprovinz. 1950 hieß das noch durch die britisch- amerikanische- und französische Besatzungszone. - Kurz Trizone genannt -.

Schon am ersten Tag hatten wir 135km  Anfahrt zu bewältigen.

In aller Herrgottsfrühe ging‘s bis nach Köln zügig voran. In Deutz wechselten wir die Rheinseite und suchen die B 51, die wir tatsächlich fanden. Es ging dann durch Brühl ins Vorgebirge. Doch in Weilerswist hatten wir die erste dicke Panne: Dem Rolf riss die Pedale an der Tretkurbel ab. – Haarriss am Kurbelarm eines neuen Rades ! -

Watt nu??  Wir fragten nach einem Schmied, der uns Sonntagsmorgens und  noch vor dem Kirchgang das reparieren konnte.

Oh Wunder; ich fand einen Schmied, klingelte bei ihm, setzte mein mitleidigstes Gesicht auf und der gute Mann erbarmte sich unser. In wenigen Minuten war mittels eines Schweißbrenners der Schaden behoben. Wir waren zwar fünf Mark ärmer, aber wir konnten weiterfahren.

Aber nun  „begrüßte“ uns der lange Berg bis Tondorf als Einstimmung zur nun folgenden Berg- und Talfahrt, die so richtig in die Knochen ging. Wir waren in der Eifel angekommen und harte weitere 30 km warteten auf uns.

Ab Tondorf änderte sich die Gegend. Die Landschaft wurde karger, die Bäume, Felder und Häuser kleiner.

Die nächste Panne ließ Richtung Ahrhütte nicht auf sich warten; dem Rolf rutschte der Brotbeutel in die Speichen und beschädigte eine Radspeiche. Die mussten wir ausbauen. Wieder ne Pause.

Unser Tagesziel Oberbettingen erreichten wir nach fast 13 Stunden. 

Der Sisi führte uns zum Haus seiner damaligen Herbergseltern und wir wurden sehr herzlich empfangen. Zum Abendbrot kam dann in der „guten Stube“ so alles auf den Tisch, was wir heute unter einer Bauernvesper verstehen. Beeindruckend die uralte stabile Kastenbank, die mit dem großen massiven Tisch und der dicken Platte darüber, den kleinen Raum beherrschte. Neugierig, wie ich war lüftete man das Tischgeheimnis:

  • Tisch und Bank waren für das Kneten und Formen des Brotteigs gebaut.
  • Unter der dicken Tischplatte war die Teigmengmulde, die aus einem Baumstamm herausgeschlagen wurde. In einer Ecke des Backtrogs lag der Sauerteig für das nächste Brotbacken.
  • Gebacken wurde noch gemeinsam im Dorfbackhaus.

Die Bauersleute boten uns an, doch einen weiteren Tag bei Ihnen zu bleiben. Das nahmen wir natürlich an. Der Bauer freute sich auf helfende Hände, und wir auf zwei Nächte in den dicken alten Federbetten. Mit allerlei Hofarbeiten machten wir uns nützlich und verdienten  uns so Kost und Logis. Allerdings erlebten wir bei der Gelegenheit, wie die Menschen so auf dem Land dort lebten:

  • Unsere Bauern hatten einen überschaubaren Grundbesitz und Viehbestand.
  • In den Steinbrüchen der Gegend war dann Gelegenheit für  Zusatzverdienst
  • Die Menschen waren dort mehr oder weniger Selbstversorger.
  • Ich sah zum ersten Mal Kühe, die statt Pferden den Wagen zogen.

Trotz ihres harten und bescheidenen Lebens erschienen sie mir zufrieden zu sein.

Nachdem uns die lieben Menschen noch mit einem anständigen Fresspaket ausgestattet hatten, ging‘s weiter Richtung Rheingau.

An diese Strecke aus den Eifelhöhen ins Moseltal werde ich zeitlebens denken. Unsere Räder hatten außer dem Rücktritt im Hinterrad noch die damals gebräuchliche Klotzbremse für das Vorderrad. Die Bremsen an unseren schwerbeladenen Rädern waren den steilen Bergabfahrten nicht gewachsen. Sie wurden zu heiß. Es blieb uns nichts anderes übrig als zu Fuß nach Cochem zu laufen.

Wir waren heilfroh, als wir das Moseltal erreichten und setzten unsere Fahrt bis Winningen fort. Dort führte uns dann die Straße, an einer Mineralquelle über Waldesch vorbei,  zum Königstuhl bei Rhens, den ich unbedingt mal sehen wollte.

 

 

 

Vor uns lag nun das herrliche Rheintal und wir suchten zunächst dort einen vernünftigen Zeltplatz. Den fanden wir direkt an der Rhenser Mineralwasserverladestelle am Sandstrand. – Wir tauften ihn das Sandbad. -

Auf dem Rhein gab’s viel zu sehen. Wir erlebten  zum ersten Mal, was so ein Dampfradschlepper, wie die „Franz Haniel“, mit seinen anhängenden Lastkähnen zu Berg, für Sog und Wellen erzeugte.

Wir wussten außerdem nicht welcher Lärm Tag und Nacht im Rheintal herrschte.

  • Beiderseits des Rheins liefen die einzigen Nord/Südverbindungen der Eisenbahn. Kohlen und Mineralöle wurden auch dort dringend benötigt.

- Dazu kamen die endlosen Reparationskohlenzüge nach Frankreich.-

  • Die B8 und die B42 mussten den gesamten Autoverkehr zwischen  Norden und Süden aufnehmen. Daher donnerten auf  beiden Uferstraßen die schwer beladenen LKW mit ihren Anhängern pausenlos in beiden Richtungen.

Unser Sandbett war warm und weich und wir waren vom vielen Sehen müde. Der durch das Rheintal herrschende Lärm störte uns da noch wenig.

Am nächsten Tag ging‘s, wie weiland der Blücher, bei Kaub über den Rhein. Wir durften sogar mit Duldung des Pfalzwärters auf dem  Rheingrafenstein übernachten.

Mit dem angeschwemmten Treibholz entzündeten wir ein prächtiges Lagerfeuer, das sich in den Rheinfluten widerspiegelte. - Dieses einmalige Privileg gibt’s heute bestimmt nicht mehr.-

Rheinaufwärts fanden wir in Rüdesheim, da, wo jetzt wohl die Sportanlagen am Rhein liegen, einen idealen Zeltplatz für Wasserwanderer. Dieser war gut belegt und hatte sogar eine Toilettenanlage mit einem Wasserzapfhahn.

Als wir dann noch einen Heuhaufen für eine weiche Unterlage  entdeckten, den uns ein Vorbenutzer dagelassen hatte, da blieben wir zwei ganze Tage dort. Außerdem beschlossen wir unsere Tour hier zu beenden, um wieder Richtung Heimat zu fahren.

Die beiden kommenden Tage nutzte dann jeder für sich.

Ich wollte zunächst durch die Weinberge zum Niederwalddenkmal. Das Schönste war die grandiose Aussicht in den Rheingau. Weniger schön fand ich den Rummel. Die Aussicht von der nahe liegenden Rossel war noch faszinierender. Ich fand da eine Art Ruine auf der höchsten Stelle des Bergrückens, die direkt über dem Binger Loch und  der Ruine Ehrenfels lag. Selten hat mich eine Aussicht von einem Turm so begeistert. Da zogen die großen Radschlepper wie Spielzeuge und in Zeitlupe mit einem Vorspannboot zu Berg durchs Binger Loch am Mäuseturm vorbei. – Immer wenn ich in dieser Gegend bis muss ich zur Rossel.-

Natürlich besuchten wir auch die Drosselgasse. Das war aber nicht unsere Welt. Bei den zahlreichen Andenkenläden kaufte ich mir einen Stocknagel, den ich mir an meine Wanderkippa nähte. Etwas sollte mich schon an die Fahrt erinnern.

Am ersten Abend zündeten wohl Mitglieder eines Sportvereins, die ebenfalls auf Wanderfahrt waren, ein riesiges Lagerfeuer an. Gitarren spielten und wir sangen dazu. Die meterhoch lodernden Flammen beleuchten den ganzen Platz. Das war so ganz nach meinem Geschmack. Leider vergingen die zwei Tage  wie im Fluge und es hieß dann das Rad beladen und ab nach Norden.

Als wir Rüdesheim verließen, da lag über uns die Ruine Ehrenfels. Der August wollte da unbedingt rauf und ich ging mit. Der Anstieg zur Burg war sehr steil und durch die Umzäunung umständlicher als gedacht. Das dort angebrachte Verbotsschild galt aber nur für andere.

Die Kletterei in der Ruine Ehrenfels endete für uns erst, bis in die höchste Stelle der Ruine erreicht war. Von Höhe des Turmes winken wir den Beiden herab. Erwischt hat uns keiner.

 

Bei der Weiterfahrt zu Tal machte sich ein starker Gegenwind, der mehr als lästig war, bemerkbar. Nun hörten wir, dass dies im Rheintal immer so war und fanden das gar nicht lustig.

Am späten Nachmittag entdeckten wir direkt an der Bahnlinie vor Lorch ein verlassenes Bahnwärterhäuschen. Die Fenster waren zwar alle zerbrochen, aber da war eine Feuerstelle und jede Menge Heu, die wohl andere Benutzer für uns zurückließen.

Also richteten wir uns dort für die Nacht häuslich ein. Die wurde durch den nicht aufhörenden Zuglärm ziemlich unruhig. Alle Nase lang donnerten Güterzüge an unseren Köpfen vorbei und ließen uns einfach nicht schlafen.

Wir waren am Morgen ziemlich geschafft. Den Rest gab uns noch ein Bahnbeamter, der wohl hinter dem Haus seinen Garten und Angst um seine Gartenerträge hatte. Er bedrohte uns mit seiner Hacke. Wir grüßten mit „Götz von Berlichingen“ zurück. Wir hatten schon freundlichere Verabschiedungen.

Bei Lorch sahen wir uns mal den KD Fahrplan an.  Siehe da: Bald kam ein Schiff nach Braubach und  wir fuhren an der Loreley auf dem Oberdeck vorbei. Zur allgemeinen „Freude“ machten wir zunächst mal auf dem Decksboden Essenspause.

In Braubach gelang es mir nicht den Polizisten auf der Wache davon zu überzeugen, dass er uns im Kaschöttgen übernachten ließ. Wir mussten auf einen Sportplatz ausweichen; denn in die „Herberge zur Heimat“ wollten wir doch nicht. Als dann noch ein Metzger statt vorgekochter Eisbeine uns frische einpackte, da wurde das mit der Erbswurst mit Einlage nichts. Unsere Laune wurde durch den einsetzenden Nieselregen auch nicht besser. Wir verzichten auf den Besuch der Marksburg und fuhren weiter nach Koblenz.

Der nächste Hammer lies nicht auf sich warten, weil dem Rolf wieder die Tretkurbel schlapp machte. Da half alles nichts. Wir legten zusammen und ersetzten das Teil, damit es weiter gehen konnte. Wir waren bedient, hatten keine Lust mehr und auch das Geld wurde knapp. Vielleicht war das auch Sehnsucht nach zu Hause.

Da fragte ich einen Fernfahrer, der mit seinem Laster bei Ehrenbreitstein gerade Pause machte. Der gute Mann hatte Verständnis für unsere Lage. Auf der leeren Ladefläche nahm er uns bis Pützchen mit.

In der Lohmarer Gegend fand ich einen Gutsbesitzer im Sülztal, der uns erlaubte in der großen Scheune zu schlafen. Wir mussten versprechen, dass wir nicht mit offenem Feuer hantieren und die Streichhölzer abgeben.

Wir durften im Baumhof sogar Äpfel auflesen, der beim Rolf in der Nacht für Dünnschiss sorgte.

Der freundliche Gutsherr hatte Spaß an meinen Erzählungen über unsere Erlebnisse.

 

Auf dem großen Küchenherd kochte ich dort mit der frischen Milch des Gutes und unserem letzten Puddingpulver einen großen Puddingtopf und am Morgen kamen wir am großen Küchentisch noch zu einem ordentlichen Frühstück.

Unsere Welt war fast wieder in Ordnung. Trotzdem waren wir froh, als wir wohlbehalten zu Hause ankamen.

Wir hatten vieles gesehen. Erfahrungen gesammelt und auch viel Lehrgeld bezahlt.

Weitere Fahrten sollten folgen!

 
nach oben Wir wollen zu Land ausfahren.....
 

                                                           ( ......ein Wanderlied aus den Zeiten vor dem ersten Weltkrieg)

Wir Klauberger Jungen, die das Weichbild Solingens noch nie verlassen hatten, wollten 1948 einfach über Pfingsten mit unseren Zelten mal raus.

Obwohl wir nicht genau wussten, wo denn die Lingese-Talsperre eigentlich lag, verließen wir uns ganz auf mündliche Berichte und unsere Erinnerungen aus dem Heimatkundeunterricht.  Neue Straßen-und Landkarten gab‘s noch nicht. Außerdem war von uns noch nie einer alleine mit dem Zug gefahren. – Heute ist das alles etwas einfacher. Da setzt man sich ins Auto und ist in weniger als einer Stunde an der Linge. Uns dagegen stand eine vierstündige Anreise bevor. -

Bis zur Währungsreform im August 48 war noch die Reichsmark in Kraft, und die Lebensmittel wurden alle streng rationiert. Geld hatten wir wohl alle, aber mit dem Proviant sah das etwas anders aus.

Ohne Lebensmittelkarten war fast nichts zu bekommen. Es sei denn, man hatte was auf dem schwarzen Markt zum Tauschen. Wir lösten das gemeinschaftlich, in dem jeder das mitbrachte, was ihm seine Mutter mitgeben konnte. So kam dann für uns ein Vorrat mit Kartoffeln, Trockenobst, Teigwaren, Erbswürsten, englisches Cornedbeef, Margarine, Milchpulver, Haferflocken, Kaffeeersatz, Kunsthonig, Marmelade und einigen Kanten Brot für die drei Tage zusammen.

Die Klauberger Jungen August Scheidtmann, Rainer Schmitz, Rolf Leckebusch, Rolf Feldhoff, Siegfried Müller, Walter Terstegen, Horst Weeser und ich waren alle noch irgendwo in der Lehre. Die Arbeitswoche ging von Montagmorgen bis Samstagmittag. Das waren 48 Wochenstunden Arbeit. So ging die Reise erst in den frühen Nachmittagsstunden des Samstages vom Solinger Hauptbahnhof (jetzt SG Mitte) los.

Da standen wir dann mit unserer umfangreichen Fahrtenausrüstung am Bahnhof und harrten der Dinge, die da auf uns zukamen.

Nun wussten wir, dass an einem geregelten Zugverkehr wegen der Kriegszerstörungen und des Kohlemangels nicht zu denken war. Viele Strecken waren nach wie vor  noch unbefahrbar. Ins Oberbergische gab’s angeblich nur die folgende Verbindung:

Der einzige verfügbare Personenzug – ein richtiger Bummelzug der Holzklasse mit vielen Stehplätzen – hielt an jedem Bahnhof von Lennep bis Gummersbach. Die Strecke führte über Solingen Hbf, SG Ohligs nach Haan, Vohwinkel. Dann dem Tal der Wupper entlang über Elberfeld, Barmen, Beyenburg, Dahlerau, Krebsöge, Krähwinkeler Brücke, Hückeswagen, Wipperführt, Ohl-Rönsahl endlich nach Gogarten und weiter nach Marienheide bis Gummersbach.

Auf den Bahnsteigen warteten da hunderte von jungen Menschen mit ihrer  Ausrüstung. Sie kamen aus den alten Arbeiterstädten Remscheid, Solingen, Elberfeld und Barmen und hatten das gleiche Ziel wie wir. Die Barmer und Elberfelder wollten in der Regel zur Bever. Zur Linge diejenigen, welche zum Pfingsttreffen der „Naturfreunde“ wollten. Der Rest fuhr dann zur, bei Familien beliebten, Bruchersperre. Das waren gefühlte drei Stunden Fahrzeit zur Linge in überfüllten Waggons.

Das Erfreuliche für uns war, dass  SG Hbf auf der Hinreise erst die  vierte Haltestelle war. Ab Oberbarmen war der Zug restlos besetzt. Zurück war es etwas unbequemer, da die Zeltler von der Brucher zuerst zustiegen und der Zug auf der gleichen Strecke in Hückeswagen dann pickepacke voll war.

Da standen wir nun spätnachmittags am Haltepunkt Gogarten und schlossen uns der Wanderschlange an, die alle hinauf zur Linge wollten. Mein Tippgeber hatte mir zu Hause was von “mal eben über die Straße“ erzählt. Über die Straße stimmte zwar, aber dann ging’s ne dicke halbe Stunde bergauf zur Staumauer um dann nach einigen hundert Meter am Ufer auf einen Waldplatz zu treffen, der uns als Zeltplatz geeignet erschien.

Zeltaufbau und Einrichten ging problemlos, weil wir das ja schon zu Hause alles geübt hatten und ein jeder wusste, was zu tun war.

Eine Feuerstätte am Ufer der Linge wurde eingerichtet. Wir hockten uns um unser Feuer und versuchten, unser Abendessen zuzubereiten. Rings um das Wasser der Linge sahen wir ebenfalls Feuer brennen und hörten in der hereinbrechenden Nacht fremde Stimmen oder das Lachen und Singen unserer Nachbarn, deren Gesänge herüber schallen. Das war  schon ein unvergessliches friedliches Erlebnis. In dieser ersten Nacht von zu Hause fühlten wir uns frei.

Natürlich war die erste Nacht im Zelt, statt im eigenen Bett, eine spannende Sache und jeder hing wohl so seinen eigenen Gedanken nach. Die Geräusche in der Nacht im Freien waren für uns, zusammen mit dem harten Lager, natürlich ungewohnt. Wir registrierten, dass die Natur um uns herum lebte.

Als uns die Sonne an einem strahlenden Pfingstsonntag weckte, da begann ein Zeremoniell, dass uns hinfort auf unseren Wanderfahrten begleitete: Waschen, Zähneputzen, Anziehen, Aufräumen, Holz suchen, Feuer machen, Malzkaffee kochen und, das Wichtigste, einen gemeinsamen Essensplan gestalten. Es wurde gemeinsam das gegessen, was da war. Wir hatten alle die Kriegszeiten erlebt und waren nicht wählerisch. Hauptsache satt. – Hunger war noch immer der beste Koch –

Das Kochen war gar nicht so einfach. Wer schon einmal mit einem großen Hordenpott auf einem offenen Feuer Essen zubereiten musste, der weiß, was das für ein Umstand war.Ich war der Koch und musste dafür kein Brennholz suchen. Da bereitete ich z.B. aus Erbswurst, Cornedbeef und gestampften Kartoffeln einen herrlichen Erbsbrei. – Ich hätte gerne gewürfelte Kartoffeln dazu verwendet, der Rolf Leckebusch mochte aber keine „Döbbelscher“ und alle hatten das zu respektieren.  Eine andere „Spezialität des Hauses“ waren Nudeln mit Trockenfrüchten oder einen Brei aus Haferflocken unter Zusatz von Trockenmilchpulver, Rosinen und etwas Zucker. Wir hatten nicht anders und mussten essen, was es so eben gab. Wenn es für meine Kochkünste ein Zeugnis gegeben hätte, dann würde da bestimmt drin gestanden haben: “Er war stets bemüht….“.

Ich kann mir heute lebhaft vorstellen, welches Gesicht meine Töchter und Enkelkinder ziehen würden, wenn ich denen mit diesen Zutaten so etwas als Mahlzeit vorsetzen würde.  Maismehl, Maisgries oder Maisbrot und andere „Köstlichkeiten“ wie Fischpaste lernten sie Gott sei Dank leider nicht kennen und „schätzen“. -

Dann erkundeten wir unsere Umgebung. Einer musste als Zeltwache auf unsere Habe aufpassen. Man konnte ja nie wissen.

Wir wanderten bis zu einem Bauernhof am Ende der Linge. Da hielten die Bergischen Naturfreunde auf einer großen Wiese ihr Pfingsttreffen ab. Tatsächlich trafen wir einige Jugendliche aus unserer Nachbarschaft oder aus unserer Schulzeit.

Am Abend sollte dann dort ein großes Lagerfeuer brennen, und ich wollte dabei sein. Da kamen dann Dutzende Menschen, viele mit Gitarren, zusammen. Es wurde gesungen oder man trug Gedichte vor. Die Stimmung war heiter und friedlich und ein jeder schlich sich am Ende müde in sein eigenes Zelt.

Wenn ich dieses nicht erlebt hätte, dann hätte ich im Leben was versäumt.

Am zweiten Pfingsten brachen wir am frühen Nachmittag unser Zelte wieder ab und räumten unseren Platz auf, damit auch die Nachfolgenden dort zelten konnten.

In Gogarten warteten dann die gleichen Menschen wieder, die auch mit uns gekommen waren. Der Zug war dann in Hückeswagen wieder proppevoll, und das wurde erst wieder in Elberfeld besser.

Zu Hause angekommen waren wir natürlich stolz auf unser Erlebnis. Wir gehörten jetzt dazu und konnten zu recht mit singen:

Wir sind durch Deutschland gefahren
Vom Meer bis zum Alpenschnee
Wir haben noch Wind in den Haaren
Den Wind von Bergen und Seen

In den Ohren das Brausen vom Strome
Der Wälder raunender Sang
Das Geläut von den Glocken der Dome
Der Felder Lerchengesang

In den Augen das Leuchten der Sterne
Das Flimmern der Heidsonnenglut
Und tief in der Seele das Ferne
Das Sehnen das nimmermehr ruht

Wir sind durch Deutschland gefahren
Vom Meer bis zum Alpenschnee
Wir werden noch weiter fahren
Um neue Lande zu sehn

(dieses Lied entstand vor dem ersten Weltkrieg und gehörte zum Liedgut der Wandervogelbewegung)

 

 
nach oben Do laachste dich kapott....
 

 

Der bekannte Kölner Karnevalssänger Karl Berbuer machte sich in den fünfziger Jahren mit diesem Karnevalslied über das Camping lustig. Etwas früher nannte man uns in einer Glosse  Erbswurstjünger, die von einer Gichtwiese zur anderen pilgern.

Uns hat das alles nicht gestört und waren stolz mit denen, die ihre Freizeit mit einfachen Zelten bei „Mutter Grün“ gestalteten und Einer dem Andern half. Nach den Kriegsjahren mit all der Not  jagten wir der „blauen Blume“ in Frieden und Freiheit nach.

In der Schule lernten wir damals viele Volks- und Wanderlieder. Das kennt man heute leider nicht mehr. Wo dann beim Zelten ein großes Lagerfeuer brannte, da dauerte es nicht lange, bis ein Lied angestimmt wurde. In der Regel fand sich irgendein Zeltnachbar mit Gitarre oder Mundharmonika ein, der unsere Lieder begleitete. Solche schönen Ereignisse bleiben einem dann schon im Gedächtnis haften. Wir schlugen unser Zelt da auf, wo es schön war. Verbote waren so gut wie unbekannt. Heute nennt man das wohl „wildes campieren“.

Aus heutiger Sicht gingen wir allerdings etwas sehr sorglos mit unserer Umwelt um. Manches Ufer an einer der bergischen Talsperren sah nach einen Wochenende wie eine bessere Müllkippe aus. Wir waren wohl damals alle kleine Umweltferkel.

Das Wort Camping kannten wir damals nicht. Also gab es auch noch keine Campingplätze, Toiletten, Waschräume und eine Platzordnung.

Für unsere „Bedürfnis“ mussten wir uns irgendwo „in die Büsche“ schlagen. Bei größeren organisierten Zusammenkünften wurde dafür eine Grube mit einem Donnerbalken hinter einem Sichtschutz ausgehoben.  Wenn dann wieder abgebaut wurde, dann wurde die Grube wieder eingeebnet.

Die „Waschräume“ befanden sich entweder im Freien an einer Quelle oder an einer Talsperre. Dort zogen wir dann morgens mit Zahnbürste, Seife und Waschlappen zur Morgentoilette. Wir schöpften das Wasser mit unseren Händen, denn Schüsseln hatten wir nicht.

Das reichlich vorhandene Nass sondern musste auch für das Essen, Kaffeekochen und Spülen herhalten.

Wer das Glück hatte und dessen Eltern einen Spirituskocher oder ein „Mehler- oder Klepperzelt“ aus Vorkriegsjahren herüber retteten, der war natürlich besser ausgestattet. Luftmatratzen waren ebenfalls begehrte Dinge, die wir nicht hatten.

Unser „Herd“ bestand aus Feldsteinen, damit der Hordenpott, von irgendeiner Oma ausgeliehen,  den notwendigen Halt für das Kochen auf dem offenen Feuer hatte.

 

Eine gummierte Plane (Folien gab es damals noch nicht) diente als Zeltboden. Darunter packten wir Tannenzweige, Farnkraut oder Heu. Gegen die Nachtkühle zogen wir alles an, was wir so im Tornister dabei hatten, der dann als Kopfkissen herhalten musste.

 

1945 hatten wir aus Militärbeständen bei der Auflösung der Wehrmacht so ziemlich alles organisiert, was bei solchen Wanderfahrten nützlich war.

  • Das wichtigste war die sogenannte Dreiecksplane, welche man zum Übernachten zu Drei-, Vier- oder gar zu Achtmannzelten oder bei Regen als idealen Wetterschutz  zusammenknüpfen konnte.
  • Militärtornister, sogenannte Affen, waren unsere Rucksäcke. - Wer den richtig packen konnte, der war immer wieder erstaunt, was da alles rein ging. -
  • Essgeschirre, Feldflaschen und Bestecke aus Aluminium holten wir ebenfalls aus den verlassenen Wehrmachtfahrzeugen.
  • Klappspaten waren ebenfalls nützliche Geräte.
  • ESBIT-Kocher mit Spiritustabletten sicherten uns heißes Wasser für das Aufbrühen von Muckefuck oder Tee aus einem Alukesselchen.
  • Pakete mit Eisernen Rationen und Erbswürsten, die Jahre lang hielten, fanden wir in den liegengelassenen Fahrzeugen ebenfalls noch genügend
  • Gegen die Nachtkälte waren die alten Militärdecken unverzichtbar
  • Natürlich gehörten Bindfäden und Schnüre in verschiedenen Ausführungen dazu. Die erwiesen auf unseren Fahrten als besonders nützlich

Solchermaßen ausgerüstet stand uns damals, so meinten wir, die Welt offen.

Die ersten Übernachtungen im Zelt probierte ich 1946 mit den Kohlfurter Fußballern in einem Zeltlager auf alliierten Feldbetten in Ratingen aus. Hier versorgte uns die Quäker Organisation mit Essen. Andere waren das erste Mal, ebenfalls in großen Militärzelten, im Flockertsholz über Nacht von zu Hause.

In unserem Revier zwischen Klauberg und der Hasseldelle schliefen wir sehr oft in unseren Zelten. Leider taugten die hier fließenden Bäche wegen der miserablen Wasserqualität noch nicht einmal zum  Waschen. Das meiste Oberflächenwasser  aus der Altstadt wurde über diese Wasserläufe zur alten Kläranlage am Altenbau geleitet.

Trotz der Sorge unserer Eltern gefiel uns das freie Leben sehr gut.

Also machten wir uns, Siegfried Müller, Rolf Feldhoff, Rolf Leckebusch, Rainer Schmitz, August Scheidtmann und ich, an die ersten Planungen:

  • Die Bevertalsperre zwischen Hückeswagen und Halver zog nach dem Krieg die Zeltler wieder an. Hier hatte ich noch die alten Erinnerungen im Kopf, die von den Kämpfen in der Nazizeit zwischen der damaligen Streifen HJ und den Edelweißpiraten und der Bündischen Jugend erzählten. Wegen der Nähe war sie also für mich zunächst erste Wahl.
  • Die Bruchertalsperre bei Marienheide, so hörten wir, war für Familien bestens geeignet. Sie lag aber am Entferntesten.
  • Schließlich war es die Lingesesperre, die auch  ausgedehnte Zeltmöglichkeiten bot.

Da erzählte mir der Günter Dort aus der Kohlfurt etwas von einer funktionierenden Bahnverbindung zwischen Solingen und dem Oberbergischen und dem Pfingsttreffen der Naturfreunde an der „Linge“. Wir sollten an der Bahnstation „Kurgarten“, kurz vor Marienheide aussteigen. Dann ginge es über die Straße und in fünf Minuten könne man bereits eine Wirtschaft sehen. Dann sei man fast da.

Richtig an der Information war, dass es eine durchgehende Verbindung gab. Von einer dreistündigen Fahrzeit im Bummelzug sagte er mir aber nichts. Die Station hieß auch nicht Kurgarten, sondern Gogarten. Aus dem fünfminütigen Fußweg wurde dann noch ein strammer halbstündiger Marsch und das mit der ganzen Ausrüstung. Später musste er zugeben, dass er noch nie an der Linge war. Er hätte nur einen gekannt, der wohl mal dagewesen sei.

Seit dieser Zeit war ich sehr vorsichtig mit der Entgegennahme und Weitergabe von solchen Tipps.

 
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…..(aus einem Wanderlied um 1900)

Fantasie und Neugier war zu allen Zeiten eine große Triebfeder, wenn es darum ging, die Welt zu entdecken. Schon in der Volksschule wurde das bei mir durch den Rektor Hönneknövel mit meinen Lieblingsfächern Deutsch, Erdkunde und Geschichte gefördert.

Das Aneignen von Sachkunde war von 1938 bis 1945, im Gegensatz zur heutigen Zeit, ungleich schwerer. Fast alles, was so heute an Medien vorhanden ist, gab es vor 7o Jahren noch nicht. Bücher waren sehr teuer und Universallexika, Globen oder Fachbücher für einen Arbeiterhaushalt unerschwinglich.

Wir hatten seit 1936 – wahrscheinlich wegen der Olympiade - einen Volksempfänger, auch „Göbbelsschnauze“ genannt. Mit dem konnten wir  nur die Mittelwelle mit Sondermeldungen oder zensierten Programmen empfangen. UKW gab‘s noch nicht. Das Hören ausländischer Sender wurde ab 1939  verboten und unter Strafe gestellt. Das wurde natürlich bei Kriegsende abgeschafft.

Als Leseratte versuchte ich alles zu bekommen, was mir lesbar erschien. Da gab es vor dem Angriff auf Solingen eine Leihbücherei Diedrich auf der Kirchstraße, die hatte alle Bände von Karl May für eine preiswerte Ausleihgebühr. Ich habe sie wohl alle gelesen, oder besser verschlungen.

So träumte ich dann mit Hilfe von Karl May und von Atlanten vom wilden Balkan, dem geheimnisvollen Orient oder vom unbekannten Amerika. Wir wollten zwar nicht nach dem Krieg Amerika entdecken. Die alte preußische Rheinprovinz reichte uns zunächst.

Ich hatte in den Trümmern unserer Stadt einen Lange-Diercke Schulatlas aus 1939 gefunden und vor der Währungsreform irgendwo eine Straßenkarte vom Rhein-Moselgebiet aus Trizonesiens Zeiten für 1 RM ergattert. Beides musste für die Tourenplanung herhalten.

Der Atlas und die Straßenkarte liegen bei mir genauso im Schrank, wie meine alte Kippa aus 1949 (das ist eine umhäkelte Stoffkalotte, wie wir sie heute nur noch von Bischöfen und Juden beim Gottesdienst kennen) – Warum ich diese, von meiner Mutter hergestellte, Hinterkopfkappe trug, weiß ich nicht mehr. Wahrscheinlich hatte ich die bei den „Bündischen“ oder den Wandervögeln gesehen -

Als Fahrrad hatte ich ein schweres schwarzes Meldefahrrad aus den alten Militärhinterlassenschaften ergattert. Es erwies sich in der folgenden Zeit als sehr robust und für Wanderfahrten geeignet, aber auch als sehr schwer. Da musste ich schon richtig treten, um von der Stelle zu kommen. Der Lenker war mittels eines Kniehebelverschlusses abnehmbar und so gegen Diebstahl gesichert. Gangschaltungen gab es auch noch nicht. Die kamen erst so um 1950 auf den Markt.

Ich hätte mir natürlich gerne so ein chromglitzerndes neues Fahrrad nach der Währungsreform angeschafft. Das kostete aber mindestens 18o DM. Wie sollte ich das denn mit meinem Lehrgeld von 35 DM im Monat schaffen? An einen Zuschuss von den Eltern war nicht zu denken. Deshalb musste ich solche Wünsche zurückstellen.

 

Zum Glück gab es die Möglichkeit eines Zusatzverdienstes durch das Kegelaufstellen bei Kegelclubs. – Der August Scheidtmann war der erste, der diese Zusatzeinnahme für sich entdeckte. -  Zunächst stellte ich bei einem Klub im Klauberger Hof nur einmal in der Woche die Kegelpinne auf. Dann kamen mehr Clubs und mein Sparbuch wurde voller. Für drei Stunden Kegel aufstellen erhielten wir 5 DM.

Mein alter Freund August Scheidtmann knipste mich 1949 gegenüber dem Klauberger Hof.

Mein ganzer Stolz war meine erste Lederhose. Dafür ging das erste Ersparte vom Kegelpinnaufstellen drauf. Rund 60 Mark – das war damals ein voller Wochenlohn eines Arbeiters -  waren dafür fällig.

Für die sehnlichst gewünschten Haferlschuhe mit Lukleinsohlen reichten meine Ersparnisse nicht. Sie mussten warten.

Natürlich waren in dieser Zeit die Lebenshaltungskosten deutlich niedriger als heute. Aber die Löhne ließen auch schon damals die Bäume nicht in den Himmel wachsen. Der Inhalt unserer Geldbörse war überschaubar und unser Wünsche bezahlbar.

Zur Lingesetalsperre kostete z.B. die Bahnfahrt hin und zurück so cirka acht Mark (Bahn km war 4 Pfg)  Das Zelten kostete dagegen nichts. Die Verpflegung wurde von zu Hause mitgenommen, da es zunächst rund um die Linge nichts zu kaufen gab.

Meine Klauberger Freunde lebten ähnlich sparsam. Fast alle verdienten sich mit Zusatzarbeiten etwas dazu. Mit fünfzig Mark Ersparnissen pro Junge fühlten wir uns reich und die Welt stand für uns offen.

Für unsere erste große 12 tägige Radtour gab ich kaum mehr als 50 DM aus. Unser Essen war spartanisch und gegen den Durst gab‘s Wasser. Limo oder Coca war für uns zu teuer. Trotzdem leisteten wir uns Fähren und sogar eine Fahrt mit der KD.

 

 

Ein notwendiger Hinweis:

In den nun folgenden Berichten gibt es leider keine Fotos. Wir hatten weder Geld für Apparat noch Filmmaterial. Außerdem war eine Fotoausrüstung nur unnötiger Ballast. Wir hatten genug mitzuschleppen.

 

 

 
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In den 30er Jahren half meine Mutter bei der Familie Krutwig im Haushalt. Während meine Mutter dort arbeitete, konnte ich auf dem Betriebshof herumlaufen. Der „Onkel Krutwig“ hatte Spaß an mir. Er erzählte mir oft von seiner Kavalleriezeit und beantwortete fast alle Fragen, die ich an ihn mit meiner Neugier stellte.

Dort entdeckte ich Dinge wie das Telefon, Pferde und Fuhrwagen, die ich von zu Hause nicht kannte und meine Fantasien beflügelten. Vor allem waren das Pferde in alle möglichen Größen. Dazu standen da jede Menge von Pferdewagen, wie Kutschen für alle mögliche Anlässe, bis sehr große zweiachsige Schlagkarren, für den Transport von Koks für die Fabriken, auf dem Gelände herum. Es roch herrlich nach Pferden und deren Ausdünstungen, und wer schon einmal im Stall war, der kennt das.

Morgens ging‘s angeschirrt hinaus. Man befuhr andere Straßen und traf neue Menschen und kam Abends nach getaner Arbeit wieder rein. Schon als kleiner Junge war das ein Leben nach meinem Geschmack. - In dieser Zeit ist wohl meine Neigung von der Arbeit in irgendeinem „Haus“, mit Stechuhren drücken, verloren gegangen.-  Ich träumte von Fuhrwerken, Rädern, dem Himmel über mir und einem Leben hinter meinem Horizont. - Dass ich einmal meine gesamten Berufsjahre nur auf der Straße und von Haus zu Haus verbringen durfte, ahnte ich damals noch nicht. -

Der Betrieb war ursprünglich auf der Brüderstrasse (jetzt Mummstraße) zu Hause. So Ende 1938 zog er jedoch zur Kasinostrasse , weil dort mehr Platz war.

Onkel Krutwig war einer der bekanntesten Hauderer in Solingen. Hauderer waren Lohnfuhrunternehmen. Sie führten Stückgut- oder Schüttguttransporte durch. Hochzeitskutschen, Gartenlauben oder Kutschen für alle möglichen geselligen Ausflüge bis zum Leichenwagen rundeten das Angebot ab.

-Ein weiterer Hauderer war damals Walter Küllenberg von der Brühler Straße. Wenn er selbst auf dem Bock mit seinem großen und prächtig ausgestatteten schwarzen Wagen mit zwei Rappen durch die  Stadt fuhr, dann war das schon ein toller Anblick, der mich besonders beeindruckte. Im  Gegensatz dazu sind bei mir da noch die  sehr großen zweiachsigen Schlagkarren in Erinnerung, die so 5 Tonnen Koks packten und von zwei großen belgischen Kaltblütern gezogen wurden. Ein Wolfsspitz, der meistens unter der großen Achse mitlief, gehörte wohl überall dazu.-  

Ebenfalls beeindruckend war, wie diese Fuhrleute mit ihren anvertrauten Pferden umgingen: Sie dirigierten ihre Gespanne mit Zurufen und nicht mit Schlägen in ihre Positionen. Der Onkel Krutwig erklärte mir auf eine entsprechende Frage:

Ein Pferd braucht Liebe und keine Hiebe

Nachdem er zur Kasinostraße umgezogen war, wohnten wir dort direkt gegenüber. Von da war ich in meiner Freizeit bei ihm bis 1943 auf dem Hof zu finden.

1944 fand ich keine Schule, die mich aufnehmen durfte (siehe meine KLV Hauptschulzeit). Die Zeit dort war  für mich ein sehr guter Schulersatz. Sicher war das toll, mit meinen Freunden durch die Wälder zu toben oder an der Müngstener Brücke herum zu klettern. Aber bei Krutwigs auf dem Platz war immer was zu tun.

Er - unter dem Namen „dr Krutwigs Menn“ besser bekannt - war als alter Kavalleriesoldat ein ausgesprochener Pferdenarr. Wenn da mal ein Tier unter Koliken litt, dann schlief er neben den Tieren im Stall. Undenkbar war für ihn auch, ein Pferd nicht vernünftig zu versorgen oder ungeputzt aus dem Stall zur Arbeit zu schicken.

Auf dem Bild ist 1944 links der Onkel Krutwig, dann kommt da mein Vater, dann der Molls Pitter und zu guter Letzt Jean (wir riefen natürlich Scheng), ein junger französischer Kriegsgefangener.

Der Schimmel hieß Liese, daneben war unser dicker Fritz und rechts außen mit der Blesse die Fanny, mein Liebling.

 

Mein Vater half dem  Onkel Krutwig in seiner Freizeit. Der Molls Pitter war ursprünglich Ablader am Hauptbahnhof, hatte riesiger Plattfüße, war sehr fleißig und gutmütig. Der Jean trug, wie hier auf dem Bild zu sehen, Zivilkleider ohne den internationalen PW Aufdruck für Kriegsgefangene. Er schlief  zeitweilig mit Genehmigung der Behörden bei Krutwigs im Souterrain. „Scheng“ wurde den Krutwigs unmittelbar nach der französischen Kapitulation „zugeteilt“ und von ihnen wirklich bemuttert. Erst als herauskam, dass er auch noch bei ihnen am Tisch das gleiche zu essen bekam, da war Schluss mit lustig. Verbrüderungen mit Feinden waren eben verboten. Dabei wollten die Krutwigs als gläubige Katholiken einen jungen Menschen nicht alleine lassen und ihm so etwas wie ein zu Hause geben (Ihre eigenen Söhne waren im Krieg).

Das Kriegsgefangenlager der Franzosen war im Saal der Gaststätte Berns, Katternberger Straße, untergebracht. Fortan musste er wieder in seiner alten Militäruniform täglich von hier, unter Bewachung, hin und zurück laufen.

- Bis heute kapiere ich nicht, warum man einen kriegsgefangenen „Feind“ den lieben langen Tag ohne Bewachung mit Pferd und Wagen kreuz und quer durch Solingen schickte, um ihn dann nach Feierabend mit aufgepflanzten Bajonett in sein Lager abzuführen. –

Aber nicht nur Pferde waren da jetzt auf dem neuen Gelände zu finden. Da standen da auf einmal zwei Autos: Ein kleiner Mercedes Lieferwagen mit dem neuen Mitarbeiter Stenzel und ein Opel-Blitz LKW mit Herrn Wirts ergänzten nun das Transportgeschäft. Während der Herr Wirts schon älter und gebürtiger Solinger war, kam Herr Stenzel, der so Mitte 40 war, nicht aus unserer Stadt.  Als ehemaliger Fremdenlegionär, sprach er außer französisch noch englisch und konnte begeisternd aus seinem Leben erzählen. Seine Erzählungen aus dem französischen Afrika saugte ich auf, wie einen Schwamm. Dem „Scheng“ war er beim Übersetzen behilflich.

Da war also auf dem Gelände eine recht große Schar von Menschen, welche die Tante Krutwig in ihrer Fürsorge bekochen wollte. Bei der damaligen Lebensmittelknappheit mit seinen strengen Kontrollen war das gar nicht so einfach. Aber der Onkel Krutwig war nicht nur Pferdehändler, sondern ein glänzender Organisator.

So hatte er hinter den Pferdeställen ein Grundstück, welches bis zum Bauer Ferres im Klauberg reichte, für seine Tierhaltung ausgebaut. Hier durfte ich dann Hühner, Enten, Gänse, Kaninchen, Ziegen und Schweine mit versorgen. Bei Bedarf wurden die vom Onkel Krutwig oder einem Helfer geschlachtet und wanderten in den großen Familienkochtopf. - Dass ich als 13 Jähriger beim Schlachten zur Hand gehen durfte, betrachtete ich als große Auszeichnung –

Als dann aber der Hans, ein großer Ganter, sein Leben für den Bratentopf opfern musste, da war das für mich schrecklich. Der Hans ersetzte nämlich den Krutwigs den Hofhund und griff jeden Fremden auf dem Hof an. Nur ich wurde von seinen Attacken verschont, da er mich von seinen Kükentagen an kannte.

Es gab dann für mich noch andere Betätigungen, der ich mit großem Eifer nachkam:

  • Stall ausmisten, Pferdeputzen, Füttern, Tränken oder Anschirren
  • Geschirr mit Lederfett behandeln oder die blanken Teile mit Sidol polieren
  • Ich durfte alleine mit den Pferden zum Schmied Lühdorf auf die Brühler Straße laufen, damit sie dort neu beschlagen wurden.
  • Mit unserem Scheng fuhr ich sehr oft, hoch mit leeren Kartons beladen, von der Kartonagenfabrik Langensiepen vom Peter Hahn Weg zum Hillers am Flachsberg. - Dort fiel dann für mich immer was „Zuckeriges“ ab.- Nur einmal im Winter erwischte uns auf dem freien Feld der Nibelungenstraße eine Sturmbö, und hunderte leere Kartons verteilten sich auf der Straße. Im Schneetreiben hatten wir dann eine Menge zu tun, um den Schaden zu beheben.

Im Mai 1945 waren die Amis da. Unser Scheng war frei und fuhr in seine Heimat. Wir haben nie wieder etwas von ihm gehört. “Was mag wohl aus ihm geworden sein?“

Als dann im September 1945 die Schule wieder für mich begann, war die schöne Zeit bei Tante und Onkel Krutwig vorbei. Bis zur Währungsreform 1948 hatte ich noch regelmäßig Kontakte.

Beide Söhne kamen gesund wieder aus dem Krieg nach Hause. Sie heirateten und zogen aus. Das Geschäft mit Pferd und Wagen war nicht mehr zeitgemäß und musste wenig später aufgegeben werden. Leider haben „Tante und Onkel“ Krutwig das Wirtschaftswunder nicht mehr erleben dürfen. Beide starben in den fünfziger Jahren kurz hintereinander.

Eine Hauderei gibt’s nicht mehr in Solingen. Das Kraftfahrzeug eroberte den Markt.

 

 
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Laut Wikipedia ist ein Denkmal  ein "Zeugnis der kulturellen Entwicklung der Menschheit", dem im Rahmen der Erinnerungskultur ein besonderer Wert zugesprochen wird.

Per Denkmal werden wir an alle möglichen Menschen aus den Herrscherschichten, an Künstler oder an siegreiche Schlachten erinnert. Auch irgendwelche hochherzigen Bürger erinnern von ihren Sockeln herab an deren Großzügigkeit. An Stifterfiguren bei den  Kirchen und Klöstern will ich erst gar nicht denken.

Regionaltypische Berufe, wie bei uns in Solingen z.B. die Lieferfrauen oder darstellende Arbeitsabläufe in den Fabriken oder Werkstätten sind mehr Erinnerungen an die „gute alte Zeit“. (Leider wissen nur wenige Menschen, was das für eine Knochenarbeit war) Für mich gehören diese herumstehenden Plastiken, genau wie die Bayrischen Ständebäume, in die Abteilung Folklore.

Ein ausgesprochenes Arbeiterdenkmal, das ohne die Glorifizierung der totalitären Systeme auskommt. kenne ich kaum. Auf die materielle Not der Menschen, die trotz  60 Wochenarbeitsstunden (bis vor 6o Jahren 48 Stunden) auf keinen grünen Zweig kamen, finden sich ebenfalls keinerlei Hinweise.

Dabei waren es doch zu allen Zeiten die Millionen von kleinen Leuten, welche stets die Zeche für eine verfehlte Staats-,  Finanz- oder Sozialpolitik bezahlen durften.

Ein solches Beispiel waren z.B. meine fleißigen Eltern:

  • Mein Vater Franz kam 1900 in Solingen auf diese Welt. Das Haus meiner Großeltern brannte 1910 am Petersklauberg ab. Da damals Feuerversicherungen wegen der teuren Prämien kaum genutzt wurden, stand die vierköpfige Familie mittellos auf der Straße. Sie fanden dann bei Verwandten auf der Hasselstraße zunächst eine Bleibe. Dann fand man eine Wohnung gegenüber dem Altersheim auf der Cronenberger Straße.
  • 1914 begann der erste Weltkrieg, und mein Vater begann eine Lehre als Dreher (heute heißt das Zerspanungstechniker) bei Gustav Coppel. Kaum hatte er die Lehre erfolgreich abgeschlossen, da musste er mit 17 Jahren Soldat beim 16.Westfälischen Infanterieregiment (als Regiment der Hacketäuer besser bekannt) in Köln-Mühlheim werden.
  • 1918 war Deutschland angeblich „im Felde unbesiegt“, lag aber ansonsten wirtschaftlich in Trümmern und seine Suche nach Arbeit fing an.
  • 1923 verlor der Großvater in der Inflation sein ganzes Erspartes und mit ihm seine Selbständigkeit. Mein Vater war wieder auf Arbeitsuche.
  • 1925 lernt mein Vater meine Mutter kennen
  • 1929 -mitten in der Weltwirtschaftskrise- und die Arbeit wurde wieder knapp, heirateten die Beiden. Sie zogen auf die Kasinostraße 87.
  • 1931 kam ich zur Welt. Da war mein Vater schon wieder lange Zeit arbeitslos. Das sogenannte Stempelgeld reichte vorne und hinten nicht. Er schlug sich mit zusätzlichen Gelegenheitsarbeiten, wie  Marktstände auf- und abbauen, durchs Leben. Meist brachte er außer Bargeld auch noch Obst und Gemüsereste mit, damit meine Mutter für Klein Werner ein Breichen kochen konnte.
  • Ende 1931 erhielt er über gute Freunde aus der Politik eine Anstellung bei der Solinger Straßenbahn. 1933, als die Nazis das Staatsruder übernahmen, war das auch wieder zu Ende.
  • Die wirtschaftlich erfolgreichste Zeit waren für ihn die Jahre zwischen 1933 und 1939, denn da gab es jede Menge Arbeit, einen vernünftigen Lohn und endlich so etwas wie ein normales Familienleben. Trotzdem verfingen sich die Überzeugungsversuche der braunen Rattenfänger bei ihm nicht.
  • 1939 wurde er wieder zum Militär eingezogen. Auf Staatskosten ging es zunächst nach Polen. In Frankreich wurde er auf Antrag seines Arbeitgebers vom Militärdienst befreit. Die kriegswichtige Arbeit bestand hier aus Granaten- und Bombenzünder drehen.
  • 1945 stand er wieder vor den Trümmern seiner Existenz und alles ging wieder von vorne los: Wohnung reparieren, alles Entbehrliche in Lebensmittel eintauschen, Arbeit suchen, Währungsreform über sich ergehen lassen, Koreakrise mit Arbeitslosigkeit
  • 1951 begann sich so alles auch für meine Eltern zu normalisieren. Es folgten in den Zeiten des „Wirtschaftswunders“ für meine Eltern endlich mal keine Existenzängste.
  • 1961 fing mein Vater aber, an kränklich zu werden. Mahnungen der Ärzte, auf seine Diabetes Rücksicht zu nehmen, schlug er in den Wind. Er musste seine Rente beantragen.
  • 1965 war sein Leben zu Ende

Bei meiner Mutter Erna war das nicht viel anders:

  • 1900 war ihr Geburtsjahr
  • 1914 wurde sie mit einem hervorragenden Abschlusszeugnis aus der Volksschule entlassen. Der Bitte der Schule, meiner Mutter doch eine Lehre zu ermöglichen, konnte nicht entsprochen werden.

Wie denn auch: Mein Opa war 1914 als Gespannfahrer beim Militär in den Karpaten im Einsatz, und meine Oma musste für drei Kinder mit einer kläglichen staatlichen Unterstützung aufkommen.

Sie musste in der Kartonagenfabrik Schreiner anfangen, um der Familie mehr Geld zu verschaffen.

  • 1917 durchlebte sie den schrecklichen Steckrübenwinter und stand, wie viele andere Menschen auch, 1918 vor dem Nichts.
  • Die turbulenten Zeiten der Zwanziger Jahre erlebte meine Mutter genauso wie die große Masse der Arbeitslosen.
  • Um von ihrem kläglichen Lohn überhaupt leben zu können, fand sie immer wieder bis zu ihrem Arbeitsende in Haushalten eine Nebenbeschäftigung. Aber das ging eben immer ohne Steuerkarte und ohne Sozialabgaben „über die Bühne“. Als sie selber im Rentenalter war, da hatte sie keine Rentenansprüche. – Ein Schicksal, dass sie übrigens mit vielen anderen Frauen bis auf den heutigen Tag geteilt hat - 
  • Obwohl sie selbst in sehr bescheidenen Verhältnissen leben musste, war sie  immer hilfsbereit und half anderen Menschen so gut sie konnte. Nie habe ich sie klagen gehört. Immer war sie für andere da.
  • Sie überlebte ihren Ehemann, zuletzt im Elisabeth-Roock-Haus, um 27 Jahre.

 

Zwei Lebensläufe von Menschen aus Arbeiterhaushalten, die für diese Zeiten nichts Besonderes waren. Sie waren fleißig, genügsam und taten das, was sie als ihre Pflicht ansahen. Das erging Millionen von anderen Menschen genauso.

Ihre Hinterlassenschaft bestand aus einem Kästchen mit Dokumenten und Fotos. Sparbücher, Schmuck, Wertpapiere oder Immobilien befanden sich nicht darunter.

Aber: Meine Eltern ermöglichten mir eine vernünftige Ausbildung. Sie lehrten mich, politisch zu denken, nie zu duckmäusern und unterstützen mich, wo sie konnten.

Für mich sind das Gründe genug, dankbar zu sein und meinen Eltern ein ehrendes Andenken zu bewahren.

 

 

 

 
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Die Familie Deller bewohnte 1947 mit ihren vier Kindern im Klauberg ein Haus, welches der Familie Boos gehörte. Frau Deller war eine geborene Boos. Die Großeltern wohnten nebenan.

Zwei der Jungens, Friedhelm und Helmut, gehörten zu unseren Spielkameraden:

Spitznamen waren früher gang und gäbe: Den älteren rief man Pitter und den jüngeren Bählamm. Warum das so war, kann ich heute nicht mehr korrekt sagen. Meistens waren damit persönlichen Eigenschaften verbunden. Ich habe da so meine Vermutungen: Der Friedhelm jedenfalls war ein mehr stiller Typ und der Helmut sehr kräftig und spontan. Wie zwei Brüder eben unterschiedlich sein können.

Wie das in den armen Zeiten so üblich war, hatten auch die Dellers hinter dem Haus ihren Karnickelstall. Beim Füttern der Tiere erfuhr ich im Gespräch, dass die Dellers wohl gerne eines ihrer Kaninchen geschlachtet hätten, um mal wieder ein Stück Fleisch auf dem Teller zu haben. Sie fänden aber keinen, der das machen könne.

Nun muss man wissen, dass ich schon damals als Fürwitz bekannt war und der Helmut von einer Ausbildung als Metzger träumte. Ich gab mich also als Fachmann fürs Schlachten aus, obwohl ich noch nie selber geschlachtet hatte.

Ich hatte zwar dem Onkel Krutwig regelmäßig beim Schlachten von Federvieh, Kaninchen, Schweinen und sogar von einem Pferd geholfen. Ich durfte da das Blut rühren. Deshalb traute ich mir das Töten eines Kaninchens zu.

Der Helmut, als „angehender“ Metzger, war von meinen Kenntnissen, die ich natürlich auch sehr plastisch schilderte, angetan. Er verkündete seiner Mutter: „Das Problem mit dem Schlachten ist gelöst“ und der guten Frau reichte das.

So machten wir uns also in aller Heimlichkeit ans Werk:

  • Eine kleine Fußbadewanne wurde aufgetrieben
  • Verschieden scharfe Messer hatte ich noch aus meinen Trümmerbeständen
  • Ein armlanger Knüppel vervollständigte unsere „Ausrüstung“
  • Wir holten das Tier aus dem Stall und stiegen bei Dellers auf den Dachboden

Jetzt musste ich also den Beweis für meine Sachkunde antreten und mich, das Großmaul, beschlich ein mulmiges Gefühl im Magen.

Zwar hatte ich im Kriege sehr viele Tote gesehen, und vielleicht hatte uns das Leid und Elend anderer abgestumpft. Ein Lebewesen mit der eigenen Hand vom Leben zum Tode zu befördern war eine andere Situation, die ich nie vergessen werde.

Der Helmut hing also das Tier an den Hinterläufen hoch, der Kopf hing nach unten und ich brach ihm mit einem kräftigen Schlag des Knüppels das Genick. Die sterbenden Augen haben mich lange verfolgt.

Dann schnitt ich die Kehle auf und der Helmut lies das Tier dann über der Fußwanne ausbluten.

Das dann erfolgte Ausnehmen war noch relativ einfach und ging auch glatt über die Bühne. Allerdings mussten wir die Innereien mangels Kenntnissen vom Essbaren wegwerfen.

Weil wir natürlich keine Ahnung vom Fellabziehen hatten, sah das Produkt unserer Arbeit entsprechend aus.

Wir beseitigten die Spuren unserer “Arbeit“:

  • Fellfetzen und Eingeweide flogen samt und sonders in den Abfall.
  • Der Mutter Deller übergaben wir ihren Sonntagsbraten.
  • Erfreulicher Weise fragte sie auch nicht nach Details
  • Der Helmut und ich haben das auch keinem erzählt
  • Das freundlich gemeint Angebot der lieben Frau Deller zum Mitessen lehnte ich unter irgendeinem Vorwand ab
  • Ein Kaninchen für sechs Personen war ja auch nicht allzu üppig
  • Für die Dellers war‘s ein Festessen und für mich ne Geschichte, die mich lange verfolgt hat.
  • Mein Appetit auf Kaninchen hält sich auch heute noch im bescheidenen Rahmen.

Und die Moral:

Wenn Du von einem Handwerk nix verstehst, dann sollst Du die Finger davon lassen.

Oder

mit Berthold Brecht in seiner „Drei Groschenoper“ zu sagen:

Erst kommt das Fressen, dann die Moral!

 
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Vorbemerkung:

Auch heute gibt es viele Mitmenschen, die seit Jahrzehnten als treues Mitglied zu ihrem Verein stehen. Hier wurde in der Regel die Mitgliedschaft von den Eltern auf die Kinder übertragen. Man bewegte sich daher stets im kleinen Kreis, und der eigene Horizont wurde logischer Weise nicht erweitert.

Meine Eltern waren in keinem Verein Mitglied. Daher war ich in meiner eigenen Entscheidung frei von solchen Zwängen.

Die von den Nazis erzwungene schulfreie Zeit bescherte mir ein freies Leben und meine Eltern hatten mit den Sorgen um das tägliche Überleben genug am Hals. Sie konnten sich nur wenig um meine Neigungen kümmern.

Mit dem Kriegsende wurde vieles anders, und wir erfuhren zum ersten Mal, was es mit dem freien Denken und Handeln so auf sich hat. Da gab es keinen Blockwart der Partei mehr. Uniformen, Fliegeralarme und Bombennächte im Keller waren Vergangenheit.

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Als dann im Herbst 1945 wieder das Vereinsleben aufblühte und der normale Sportbetrieb wieder anfing, da zog es uns Jungen zum Fußballplatz.

„Auf Kohlfurts grünen Auen,
da liegt ein Sportplatz grün und schön.
Da kann man jeden Sonntagmorgen,
die blau und weißen Farben seh‘n.

Im Refrain ging‘s dann weiter:
Und alles singt und alles lacht,
das sind die Spieler der weiß und blauen Tracht…“
 

Dies sang man damals in Stöcken.

Meine Wahl fiel auf den SV Kohlfurt, da der vom Klauberg aus am besten zu erreichen war. (Wir liefen von der Margaretenstraße durch den Straßenbahntunnel der „Barmer Bergbahn“, der kurz vor der Firma Rasspe aus dem Berg kam)

Außerdem kannte ich dort viele Menschen aus meinen Kindertagen:

- Alles, was zwischen Stöckerberg und Schulkohlfurt  Böntgen, Osbringhaus oder Eigenbrod hieß, gehörte nicht nur zu meiner Familie, die im Peters Klauberg bis zum Abbrennen ihres Hauses dort lebte. Man war in der Regel auch beim Rasspe beschäftigt. So arbeitete mein Opa ebenfalls eine Zeit lang als junger Mann beim Rasspe als Schlosser. – nach dem Brand zogen meine Großeltern zur Cronenberger Straße. Mein Onkel Werner begann beim Rasspe ebenfalls eine Schlosserlehre, und im ersten Schuljahr besuchte mein Vater die zweiklassige Volksschule in Schulkohlfurt, um dann die neue Volksschule Stöcken mit dem Lehrer Gosekuhl zu wechseln. Die Tante Ottilie, eine Kusine vom Opa, wohnte im Peter-Amalie-Rasspe-Stift und war als sehr fromme Frau in der dortigen freien evangelischen Gemeinde aktiv. -

Ich meldete mich also mit väterlicher Erlaubnis dort an. Mit dem dortigen Jugendleiter, Fritz Uttermann, fand ich einen Menschen, der mich mitgeprägt hat. Ich erinnere mich bis heute sehr gerne an diesen idealistischen Menschen, dem seine ganze Zuneigung den „Gugendlichen“ gehörte. (Ein J konnte er nicht aussprechen).

Fritz Uttermann war im Dritten Reich wohl aus einem Arbeitersportverein, die ab 1933  verboten wurden, zu den Kohlfurtern gewechselt. Aus seiner kommunistischen Grundhaltung machte er nie einen Hehl und fühlte sich schon aus dem Grund bei den dortigen Mitgliedern, die wohl ähnlich dachten, ausgesprochen gut aufgehoben.

Da stand ich dann ohne richtige Ausrüstung (Fußballschuhe hatte ich keine) das erste Mal zum Training auf dem Platz, dass vom „Böntgens Käpp“ geleitet wurde.

– Der „Käpp“ war mit meinen Vater über die gleiche Oma verwandt, gehörte seit ewig zur „Ormsnuut“ – so wurde der Verein im übrigen Solingen, wahrscheinlich wegen seiner mangelnden Kondition, spöttisch genannt - und arbeitete natürlich beim Rasspe als Schläger. –

Schon nach den ersten Trainingseinheiten war mir klar, dass das mit dem Fußball für mich nicht das Richtige ein. Daher bin ich auch nie über einen Ersatzspielereinsatz bei der C-Jugend hinausgekommen. Aus dem Grund wechselte ich nach kurzer Zeit zur neuen Handballabteilung.

Trotzdem denke ich noch heute gerne an diese schöne Zeit, in der der gute Fritz Uttermann über seine Beziehungen mit cirka 5o Jugendlichen in ein Zeltlager an der Ratinger Jugendherberge fuhr. Wir schliefen dort in großen, englischen Armeezelten und wurden von der englischen Armee und den Quäkern mit Essen versorgt. - In den Zeiten, wo es kaum etwas Vernünftiges zum Essen gab, war das schon eine tolle Leistung.-

Eine Bemerkung aus diesen Tagen blieb bei mir haften. Als es um humanes Verhalten zwischen Amerikanern und Russen ging, erklärte er uns dieses so:

“Do jött et kejnen juten Ongerschejt. Wenn de Russen dich kaput hann wellen, dann schnieden die dir den Hals aff,  de Amis trekken dir jeden Dach nen Leffel Kost aff. Äwer do jejst de jenao su vann kaputt.“

Natürlich kann der Wettkampfsport nicht zu kurz. Vereinsvergleiche waren damals sehr in Mode. Der SV Giesenkirchen war ein solcher Verein, seine A-Jugend galt als unschlagbar. Aber als sie dann auf Kohlfurts grünen Auen zum Klubkampf antraten, da wurden sie mit 5:2 als Verlierer nach Hause geschickt.

Einige Namen wie der Tacks Jünner, der Piepenbrinks Gerd, der Böntgens Kack, der Muus Ern, der Everts Herb, der Wills Ejs oder der Schröfs Fränner, der Pietsch Atta oder der Reibersch Püpp blieben bei mir aus dieser A-Jugend haften.

Aus der B- und C-Jugend waren das der Beckersch Micki, der Böntgens Ouler, der Böntgens Jünn, der Böntgens Ern, der Bergmanns Blemmes, der Molls Mimann, der Beckers Fredi oder der Gryczewskis Frie.

Aus der ersten Mannschaft waren das die Kattwinkels, Siebels oder Wüstenhagens. Der Ramuschats Erwin, „Santei“ gerufen, oder der Kochs Werner, besser als „dr Kochs Witte“ kenne ich ebenfalls noch aus dieser Zeit. – Vielen begegnete ich später als Mitglied in der „Eintracht Stöcken“ wieder –

Einige Zeit später kamen immer mehr junge Menschen aus der Gefangenschaft nach Hause, und so wurde der Verein, mit Hilfe des Abteilungsleiters Berg vom Hasseldeller Weg, um eine Handballabteilung erweitert, die anfänglich recht respektable Ergebnisse feierte. Eine Damen Handballmannschaft komplettierte mit der Handballjugend, zu der ich damals gehörte, dann den Verein.

Die „Ormsnuut“ verfügte aber auf Kohlfurts grünen Auen nur über einen Platz, und der war natürlich für die Fußballer des Vereins wichtiger.

Leider gab es da Platzprobleme für die Handballer. Um mehr Möglichkeiten des Spielens zu haben, schloss sich die Handballjugend dem BSV 98, die noch keine eigene Jugendabteilung  hatte, an.

Hier blieb ich auch nur eine kurze Zeit Mitglied. Ich war ich neugierig auf die weite Welt und ging daher zu den Theegartener Naturfreunden. Das Zusammenleben mit politisch Gleichgesinnten schien mir doch spannender. –

Nachtrag:

Kurze Zeit später löste sich die Handballabteilung wieder auf, und die noch vorhandenen Spieler verloren sich in alle Winde.

Den ehemaligen Deutschen Handballmeister BSV Solingen 98 gibt’s seit über 25 Jahren nicht mehr.

Und die gute alte „Ormsnuut“ musste ebenfalls unter seinem langjährigen Vorsitzenden Hans-Peter Harbecke wegen mangelnder Umkleiden, einem fehlenden Vereinslokal, einem von Überbauen mit Gewerbegebäuden bedrohten Sportplatz die Segel streichen.

So ging auch hier ein gutes Stück Nachbarschafts- und Arbeiterkultur vor die Hunde.

Das hat schon vor Jahren keinen interessiert und heute interessiert das, fast verständlich, keinen mehr.

Aus meiner subjektiven Sicht will ich dies Erlebte festhalten, weil wir immer geschichtsloser werden und vergessen, was wir der Arbeiterbewegung alles zu verdanken haben.

 

 
nach oben Meine Konfirmation 1946                         Übersicht
 

 

Die Jüngeren, die dies nun lesen, können sich kaum vorstellen, in welchen Notzeichen wir überlebten. Hoffen wir alle, dass ihnen das erspart bleibt.

Daher: Wachsam sein!

Der Winter 1945/46 war brutal kalt. Eisblumen an allen Fenstern, die teilweise noch aus Folien bestanden, da Fensterglas ohne Beziehungen kaum zu beschaffen war. Wir hatten kaum was zum Heizen. In den Trümmern der Innenstadt, deren Bewohner entweder im Angriff umgekommen oder unbekannt verzogen waren, stiegen wir Jungens in die Keller, um dort nach Kohlen zu suchen, die wir dann in selbst gebauten Karren nach Hause brachten. Manches Mal entdeckten wir auch noch Kartoffeln und Eingemachtes in diesen Trümmerkellern.

Mein Vater ließ sich mehrmals über den Fuhrunternehmer Ferdinand Krutwig von der Kasinostraße eine Karre Koksgruß besorgen. Dann durften wir auf unserem Hof den Haufen Koksabfall nach kleinen Stückchen brennbaren Materials mit einem Sieb durchsuchen. Eine langweilige und schmutzige Arbeit, der ich gerne aus dem Weg ging.

Sägen, Äxte und Beile, die wir noch in den Tagen der Kapitulation bei der Firma Daniel Kremendahl in Berghausen bei Cronenberg über eine von Vaters Tanten kaufen konnten, waren in dieser Zeit unentbehrliche Hilfsmittel, um „über die Runden zu kommen“.

Zu dem Zweck zogen wir dann Richtung Altenbau und fällten am Sommer- und Winterberg oder in der Steinkulle armdicke kanadische Eichenbäumchen, die wir dann mit unseren Schlitten nach Hause brachten. Dabei mussten wir immer Angst vor dem Polizisten Bläse haben, der am Altenbau wohnte und keinen Spaß verstand.

Lebensmittel gab es nur auf Lebensmittelkarten und wer was zum Tauschen hatte, der konnte sich auf dem „schwarzen Markt“ zusätzlich was zum Essen besorgen.

So bewegten sich die Gespräche nur um die Themen warm und satt.

Tauschartikel wie Scheren, Rasiermesser, Manicüreartikel oder Berufs- und Taschenmesser „besorgten“  wir Jungens uns z.B. auch in den zahlreichen und zerstörten kleinen Fabrikationsgebäuden in der Innenstadt.

(Ein schlechtes Gewissen habe ich auch heute für mein „Organisieren“ von damals nicht; denn wir mussten was zum Essen haben. Der Kölner Kardinal Frings hatte dafür ebenfalls Verständnis und das Wort vom „Fringsen“ war ein bekanntes Wort.)

In diesen Notzeiten stand meine Konfirmation an. Das war damals noch ein wichtiges Ereignis, wenn man als richtiges Mitglied in die Gemeinde aufgenommen wurde.

Aber da gab es Probleme wie: was zieht der Jung an, was gibt es zu essen und woher bekommen wir das?

  • Das mit einem passenden Anzug war das erste Hindernis. Damals hatte ich wohl eine Figur, die heute so Größe 44/46 heißt. Den Bezugschein für einen Anzug erhielten wir vom Versorgungsamt. Aber, der einzige Anzug, den die Firma Artmeier, die in einer Baracke ihren Laden wieder aufgemacht hatten, auf Bezugschein vorrätig hatte, war so in der Größe 56 vorhanden. Der wurde, obwohl er hinten und vorne nicht passte, zurecht genäht. Die viel zu weite Hose erhielt Abnäher am Bund und am Gesäß. Die Hosenbeine wurden auf meine Länge gekürzt. An der Jacke, einem Zweireiher, wurden solange die Knöpfe versetzt, bis sie einigermaßen auf meinen Körper passte. Der Anzug saß hinten und vorne nicht, aber es gab nichts anders. So standen dann die Schultern der Jacke weit aus dem schmächtigen Oberkörper hinaus und die Bügelfalten der Hosen saßen viel zu weit nach außen. Aber ich hatte wenigstens einen Anzug.
  • Von meinem verstorbenen Opa, der so meine Kragenweite hatte, besaßen wir noch ein weißes Hemd. Das hatte einen abnehmbaren und besonders gestärkten Kragen mit den sogenannten Kragenknöpfchen. Eine passende Krawatte befand sich auch noch in seinen Hinterlassenschaften.
  • Jetzt fehlten nur noch die Schuhe. Die waren aber auch auf Bezugscheine nicht zu kriegen.

Da nahte die Rettung in Gestalt des ausgebombten neuen Nachbarn:

Der Witwer Triesch lebte mit seiner Tochter Ilse bei uns unter dem Dach in zwei winzigen Zimmerchen. Sie wurden in Unter Sankt Clemens total ausgebombt und retteten nur das, was sie auf dem Leib hatten. Diese neue Bleibe war  mehr als ärmlich ausgestattet. Diese Möbel waren eine Zuteilungen des Versorgungsamtes für Bombengeschädigte. Das Beste war der kleine röhrenförmige kleine Kanonenofen, der bei uns „Venüssken“ hieß.

Er hielt sich sehr oft bei uns zu Besuch auf; denn hier konnte er sich aufwärmen und ein Tellerchen Suppe, weil er immer Hunger hatte, fiel auch von Fall zu Fall für ihn ab. Ich höre ihn noch heute von „Dicke Graupensuppe“ schwärmen.

Dieser liebenswerte, kleinwüchsige Mensch litt seit frühester Kindheit unter einer Verkrümmung der Wirbelsäule (volkstümlich hieß das: er hatte einen  Buckel). So war es, dass er keine Kleidung von der Stange tragen konnte. Das  Normale an seiner Figur waren seine Füße, und die waren Größe 42. Das elegante schwarze Schuhwerk war so ziemlich das Einzige, was ihm von seinem Besitz nach dem Angriff verblieb, und das war genau meine Größe.

Er bekam natürlich bei uns mit, dass wir noch keine passenden Schuhe für mich als Konfirmand aufgetrieben hatten.

„Dann kritt de Jong die Schon vann mir jelinnt“ war seine spontane Reaktion.

So kam es, dass der gute Herr Triesch an meinem Konfirmationstag wegen fehlender Schuhe das Haus nicht verlassen konnte, und ich auf geliehenen schwarzen Schuhen zur Kirche gehen konnte.

Zum Dank kochte ihm meine Mutter einen Topf dicke Graupensuppe und gab ihm dann von unserem Kaninchen, welches das Konfirmationsgeschenk von Tante und Onkel Krutwig war, eine Portion mit.

Zu meiner freudigen Überraschung stand dann der Onkel Ferdinand mit seiner Hochzeitskutsche vor unserer Haustüre und fuhr mich, zusammen mit meiner Jugendfreundin Hannelore, zum Gottesdienst in die Ketzberger Kirche, weil die als einzige unzerstört war.

Dort feierte dann der Pastor Haarbeck mit uns das Fest der Konfirmation, das bei aller Not um uns herum, bis heute im Gedächtnis haften blieb.

Mein Konfirmationsspruch lautete:

Denn des Herrn Wort ist wahrhaftig und was er zusagt, das hält er gewiss. Psalm 33.4

 

 

     

Am Tag meiner Konfirmation, mit diesem schicken Anzug, aufgenommen

 
nach oben Mit Hans Wundes 1945 auf Hamsterfahrt ins Vorgebirge                         Übersicht
 

 

Der Hans war ein Mitschüler aus der Deutschen Hauptschule, der als Ausgebombter von der Schützenstraße mit seiner Familie auf der Klauberger Straße bei der Familie Braches im Haus unterkam.

Wir erhielten einen Tipp von meiner Tante Lene. Die war die Schwester meiner Großmutter mütterlicherseits: „Im Vorgebirge könne man jetzt wieder Obst und Gemüse gegen Stahlwaren eintauschen. Das wäre auch einfach dahin zu kommen, da sowohl die Vorgebirgsbahn über Brühl nach Bonn, als auch die Rheinuferbahn wieder zwischen Bonn und Köln intakt seien. Sie hätte schon in Widdig mit Erfolg gehamstert und wolle auch dort wieder hin. Allerdings sei es nicht ratsam, mit mehr als zwei Personen zu gehen. Die Leute dort seien sehr misstrauisch“

Hans und ich waren natürlich Feuer und Flamme. Wir „versorgten“ uns wieder mit Gärtnermesser, Taschenmesser, Baum- und Haushaltscheren. Ich informierte meine Mutter, dass ich mit der Tante Lene und dem Hans zum Hamstern fahre. Sagte ihr etwas von Reusrath und machte mich mit dem Hans an einem strahlenden Septembertag 1945 auf den Weg. Meine Ausrüstung bestand aus einem Rucksack, den mein Opa mir für das Notgepäck der Bombenangriffe genäht hatte. Darin befanden sich dann unsere wertvollen Tauschartikel, eine Trinkflasche und ein Butterbrot.

Im Übrigen hatte ich natürlich keine Ahnung wo Widdig lag. Optimistisch, wie ich auch damals schon war, sollten wir irgendwie da schon hinkommen. Außerdem konnten wir ja noch die Tante Lene fragen.

Im hoffnungslos überfüllten Zug fanden wir auf einer Plattform, die über den Wagonpuffern lag, ein Plätzchen und erreichten so Köln- Hauptbahnhof.

Aber wo war denn die Rheinuferbahn? Man bedeutet uns, dass wir da bis zum Rheinhafen laufen müssten. (Heute steht da das Schokoladenmuseum)

Das war damals aber ein mühevoller Weg und mit heutigem Straßenverhältnissen nicht zu vergleichen. Köln war damals eine einzige Trümmerlandschaft, und nur die Straßen waren notdürftig geräumt.

Da standen wir endlich an der Endstation der Rheinuferbahn und mit uns hunderte andere Menschen, die wohl alle das gleiche Ziel hatten. Zusammengepfercht im Zug stehend erreichten wir dann am frühen Nachmittag unser Ziel, einen kleinen Ort mit landwirtschaftlicher Prägung.

Der Hans und ich machten uns nun auf die Suche nach Essbarem und klopften an. Besonders freundlich wurden wir nicht empfangen. „Wir haben nichts“ war noch das Freundlichste, das wir zu hören bekamen.

Große Augen machten wir allerdings, als dann ein Fahrzeug des ansässigen Nonnenklosters auftauchte und die gleichen Leute Kisten mit allerlei Obst und Gemüse an den Wagen brachten. Wie gerne hätte ich davon etwas mitbekommen. Für uns war das natürlich ein Schlag ins Gesicht, als wir zusehen mussten, wie der Wagen immer mehr beladen wurde. Seit der Zeit denke ich über Christliche Nächstenliebe sehr differenziert nach.

Mit vielen Mühen und Türklopfen hatten wir dann doch etwas Kartoffeln, Zwiebeln, Gurken und Birnen zusammen geschnorrt, und wir gingen dann zur Bahnhaltestelle zurück, um zu erfahren, dass der nächste Zug erst am nächsten Morgen um sieben Uhr nach Köln geht.

Da standen wir nun da mit unserer Weisheit. „Wat nu ?“ Irgendwie mussten wir ja schlafen. Wir klopfen wieder bei den Leuten an und fragen um einen Schlafplatz nach. Das war wieder vergebliche Liebesmüh.

Schließlich tauchte da eine Gastwirtschaft auf. Dieser Inhaber, Severin Prein (ich werde den Namen nie vergessen), erlaubte uns, für zwei Reichsmark pro Person in einer kleinen Dachkammer zu übernachten. Einen Teller Knochensuppe mit einem Kanten Brot hatte er auch noch für uns übrig. Dafür erhielt er ein Taschenmesser und ein Zöppken.

Als wir uns dann unser Nachtquartier mal genauer ansahen, da packte uns das nackte Grauen wegen des verdreckten Zimmers. „In so ein Bett legen wir uns nicht“ war unsere einhellige Meinung. In der Dunkelheit schlichen wir uns aus dem Haus und bezogen unser Nachtquartier im Wartehäuschen der Bahn. Dort zitterten wir uns -wegen der Nachtkühle- dem Morgen entgegen. Dort trafen wir dann auch die Tante Lene wieder.

In Köln angekommen ging‘s dann zurück zum Hauptbahnhof. Aber da fuhren keine Züge, weil die Bahngeleise für die Kohlentransporte nach Frankreich reserviert waren. So standen hunderte von Reisenden auf dem Bahnhofsplatz und warteten aus das Weiterkommen.

Die alliierte Militärpolizei beschlagnahmte kurzer Hand alle leerfahrenden Fahrzeuge und verpflichte sie, die wartenden Menschen mitzunehmen.

Wir fanden Platz auf einen LKW, der uns für zwei Reichsmark bis Landwehr mitnahm. Mit der Straßenbahn ging‘s dann nach Hause, wo wir am Nachmittag glücklich wieder eintrafen.

Von Hamstertouren hatte ich aber für alle Zukunft die Nase gestrichen voll.

 

 
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Als uns am frühen Morgen im April 1945 ein Trompetensignal des Musikdirektors Issig aus dem Klauberg mit dem Ruf „Die weißen Fahnen heraus, die Amerikaner sind da“ weckte, da wussten wir: Der Krieg ist für uns vorbei.

„Wir haben überlebt“. Und das waren die Worte meines Vaters, als wir zum Stadthaus gingen, um dort die ersten Amerikaner zu sehen.

Bis es jedoch so weit war, erlebte ich Monate, die mich für mein darauf folgendes Leben geprägt haben:

Nach einem Heimaturlaub im Juli 1944 weigerte ich mich, wieder ins KLV-Lager nach Thüringen zurück zu kehren. Die Nazis hatten unseren Rektor einfach vor die Türe gesetzt, und ohne ihn wollte ich nicht zurück. Das großzügige Geschenk, eines kostenlosen Aufenthaltes im KLV Lager des Führers Adolf Hitler, auszuschlagen, bedeutete allerdings das Schulverbot für mich in Solingen. Im Jungvolk der HJ „durfte“ ich auch nicht mehr mitmachen und fühlte mich ausgestoßen. So war der Geist der NSDAP mit seinen Zwängen für mich  erledigt.

Jeder junge Mensch in meinem damaligen Alter träumt doch heute von einer solchen Situation. Ein Leben ohne Zwänge und Pflichten war gerade das richtige für Jungen in dem Alter. Wir streiften durch die angrenzenden Wälder, kletterten an der Müngstener Brücke herum oder bauten uns Baumbuden und besorgten uns dafür das notwendige Holz durch das Fällen von Bäumen. Trotz aller Gefahren, konnten wir uns so richtig nach Jungensart ausleben.

Wir sahen und hörten die großen Bomberverbände der Anglo--Amerikaner über unseren Köpfen hinweg fliegen. Diese viermotorigen Bomber zogen riesige Kondensstreifen hinter sich her, so dass der Himmel über uns ein einziges Streifenmuster war. Obwohl sie durch das Sperrfeuer unserer Flak mit erheblichen Verlusten hindurch mussten, warfen sie wohl irgendwo ihre tödliche Last über andere Städte ab.

Dann waren auch noch die Jagdbomber vom Typ Mustang, die im Tiefflug Bodenziele angreifen mussten. Auf dem Sommerberg, da wo heute die Kleingartenanlage steht, sah ich, wie diese Jabos ihre Bomben auf die Windfelner Brücke abwarfen, ohne sie zu treffen. Zwischen Windfeln, Felsenkeller und Schaber Feld bezeugten dann die Bombentrichter von diesem Angriff.

Wir hörten auch von Jugendlichen, die sich bündische Jugend oder Edelweißpiraten nannten. Diese sollten die HJ und die NSDAP Funktionäre permanent provoziert haben, bis hin zu offenen Pöbeleien und Schlägereien.

Voller Begeisterung hörten wir die Geschichten der Älteren über die Zusammenstöße zwischen diesen „Bündischen“ aus den Bergischen Großstädten und der gefürchteten Streifen HJ (das war die HJ Ordnungstruppe).

Meine Fantasie wurde dadurch angeregt. Wir sahen in diesen jungen Menschen unsere Vorbilder. Zeitungsartikel, die über dieses „Gesindel“ berichteten, taten ein Übriges. Wir wollten genauso aufmüpfig sein wie die Edelweißpiraten.

Wir besorgten uns also Edelweißabzeichen der Gebirgsjäger und die Mutter musste das Abzeichen an dem rechten Hosenbein der kurzen Hosen  und unter dem linken Kragenaufschlag an unserer Windbluse aufnähen. Außerdem trugen wir am Hosengürtel einen sogenannten Ullr. Der bestand aus einem bunten Bändchen, an dessen Ende eine runde metallene Marke hing, auf dem ein mittelalterlicher Schifahrer eingeprägt war. Das war  wohl der damaligen Schutzpatron der Schifahrer. In der nordischen Mythologie war das der Gott des Winters aus dem Geschlecht der Asen.  der wohl in Studentenkreisen auch als Bierzipfel bekannt ist. Das war wohl für aufsässige Jugendliche  damalig so in der Mode.

Dann liefen wir auch solange damit herum, bis der NSDAP Zellenleiter Pickardt von der Klauberger Straße 34 bei meinem Vater vorstellig wurde. Dann mussten die Edelweiße samt und sonders von unseren Sachen entfernt werden. Eine Anzeige machte er nicht; nur eine strenge Ermahnung an uns.

- Erst heute, am 1. Okt.11, lese ich in der „Wikipedia“ aus dem Internet den Artikel über die Edelweißpiraten, die meine Erinnerungen bestätigen. -

  • Die Partei mit ihren zahllosen Organisationen und Unterführern hatte ein dichtes Netz von Informanten über die Nachbarn gelegt und jeder konnte ein Spitzel sein. Gespräche über die Lage konnten die Erwachsenen nur noch im Flüsterton und auch nur zu ihren engsten Freunden führen. Ganz schlimm erwischte es im Klauberg eine Frau.  Die war wohl beim Abhören des englischen Feindsenders erwischt worden und wegen Abhörens eines Feindsenders zu 2 Jahren Gefängnis verurteilt worden.

Doch als am 4. und 5. November die angloamerikanischen Bomberverbände die gesamte Altstadt in Schutt und Asche legten, da war das mit dem sorglosen Spielen vorbei.

Ab da ging es um das tägliche Überleben:

  • Die ständigen Fliegeralarme mit dem Aufsuchen der Luftschutzräume.
  • Keine Nacht ohne Sirenengeheul.
  • Das Schlafen nur noch in Kleidern.
  • Der Sorge ums Essen mit dem stundenlangen Anstehen an den Lebensmittelgeschäften, bei Milchhändlern, Bäckern und Metzgern. (Beim letzteren gab’s Wurstbrühe ohne Marken. Alles andere nur gegen Bezugscheine)
  • Die Wohnung winterfest machen, oder brennbares „organisieren“ und die Fenster abdichten waren wichtige Aufgaben, die ich zu leisten hatte, da mein Vater beim Herder auf der Rathausstraße eine Sechzigstundenwoche mit kriegswichtigen Arbeiten abzuleisten hatte.
  • Auch wir brauchten warme Sachen, die es aber nur auf Bezugscheine gab.
  • So wurde dann manches gute Solinger Erzeugnis, welches ich in den Fabriktrümmern „gefunden" hatte, auf dem „Schwarzen Markt“ in wärmende Kleider oder Schuhe umgetauscht.
  • Allerdings war das mit dem „Finden von Gegenständen“ in den Trümmergrundstücken schon problematisch. Die Gerichte werteten das in der Regel als Plünderung. Wer hier erwischt wurde, der musste mit schweren Freiheitsstrafen rechnen.
  • Ob ich als 14 Jähriger auch davon erfasst worden wäre, will ich auch heute noch nicht wissen. Wir mussten von einem zum anderen Tag überleben, und da waren solche Skrupel nicht gefragt.

So ab Januar kam die Front immer näher. Die Jabos schossen auf alles, was sich bewegte, und die deutschen Jäger gab es nicht mehr. Wir waren einfach hilflos den  Moskito- und Lightning--Jagdbombern ausgeliefert.

So ab März 1945 war Solingen im sogenannten Ruhrkessel mit der Heeresgruppe B unter Generalfeldmarschall Model von den Alliierten eingeschlossen worden. Nachdem der Kanonendonner immer lauter wurde und jede Menge Granaten in der Stadt ihre Wirkung zeigten, wussten wir, dass das Ende des Krieges für uns kurz bevorstand.

Dies wurde für uns besonders deutlich, weil vom Gräfrather Stadtwald bis zum Halfeshof und entlang der Wupper die Soldaten in diesen Straßen und Wegen ihre Fahrzeuge abstellten, um sich dann in alle Winde zu zerstreuen. Es herrschte ein für uns unbegreifliches Chaos.

Alle möglichen Ausrüstungsgegenstände, von Uniformen bis zu Waffen wie Panzerfäusten, Gewehre oder Pistolen mit der passenden Munition bis hin zu persönlichen Gegenständen, lagen in den Büschen. (Außer dem Einsammeln von Orden und Ehrenzeichen war  eine sogenannte Bockbüchse mein wertvollstes Sammelgut. Ich versteckte alles gut, um sie dann später bei den Amis gegen Essbares einzutauschen.)

Herrenlose Pferde liefen überall herum. Sie wurden von den umliegenden Bauern und Fuhrbetrieben eingefangen, um dort für die betrieblichen Zwecke eingesetzt zu werden. Viele wurden dann auch von den Nachbarn geschlachtet, das Fleisch wurde verteilt und gegessen; denn Fleisch war natürlich Mangelware.

Ich weiß, dass in den Waschküchen des Klauberger Umfeldes  so manches Pferd sein Leben lassen musste.

Wie schon oben erwähnt, ertönten in der Frühe des Aprilmorgens  Trompetensignale von der Klauberger Straße zu uns in die Wohnung. Eine Stimme, in der wir sofort die des Musikdirektors Issig erkannten, schrie: „Die weißen Fahnen heraus. Der Amerikaner ist da.“

Die Nachbarn kamen auf die Straße, um die Neuigkeit zu erörtern und mein Vater ging mit mir zum Stadthaus.

Wir alle waren doch erleichtert, als wir die ersten Neger sahen, die sich als kinderliebe Soldaten herausstellten und uns die ersten Kaugummis schenken.

Von Monstern, so wie die Nazis uns die Amerikaner schilderten, keine Spur.

--

Bei uns kehrte so allmählich wieder das ganz normale Leben ein.

Wir brauchten keine Todesängste mehr auszustehen und konnten wieder auf bessere Zeiten hoffen.

Für mich daher Folgerichtig, dass wir die Welt erkunden wollten. Wir unternahmen richtige Wanderfahrten mit dem Fahrrad, und ich schloss mich den „Naturfreunden“, einem Wanderverein der Arbeiterbewegung an.

Über diese Zeit berichte ich aber noch ausführlicher.

 
nach oben Die grauenhafte Tage des 4. und 5. November 1944                         Übersicht
 

 

Rund 1600 Tote und 2200 Verletzte an zwei Tagen besagen alles

Bis zu den großen Angriffen gab es zwar täglich rund um die Uhr Luftalarm.

Der für uns vorgesehene LSR (Luftschutzraum) war in der Volksschule Klauberg. Dort hatte der Luftschutzwart Rehbein, ein Veteran des ersten Weltkriegs, das Sagen. Ich erinnere mich an diesen lieben Nachbarn, da er immer mit seinem alten Stahlhelm auf dem Kopf bei Akutalarm auftrat.

Das Notgepäck war von da an genauso unser Dauerbegleiter wie der Drahtfunk, der uns ständig über die „Luftsituation“ informierte.

So etwa auch an dem traurigen Samstag, als der uns sagte, dass im Raum Geilenkirchen/Venlo sich ein Bomberverband Richtung Großraum Köln bewegte. Das war für uns schon die halbe Entwarnung. Dann kam die Meldung "der dreht nach Norden ab", und dann flogen die ersten Bomben, und wir liefen in unseren Keller. Wir erreichten nicht mehr den sicheren Luftschutzkeller in unserer Schule. Mein Vater wurde auf dem Heimweg von der Arbeit  auf der Bleichstraße von den ersten Bomben überrascht.

Dieser Angriff galt unserer Südstadt rund um den Solinger Hauptbahnhof mit seinen vielen Fabriken. Daher waren wir davon nicht betroffen.

Aber der Angriff am 5.11.44, sonntags gegen 13 Uhr, ist mir unauslöschlich im Gedächtnis haften geblieben:

Unsere Hausgemeinschaft der Kasinostraße 87 – so 16 Personen – hockte auf Stühlen in unseren 20 qm großen Kohlenkeller. Dieser war besonders mit Holzstempel, welche die Decke gegen Einsturz sichern sollte, als Luftschutzraum ausgestattet. Auf den Kellerfenstern lagen Stahlplatten mit Sandsäcken beschwert. Sie sollten uns scheinbar das Gefühl einer Sicherheit gegen das Eindringen einer Bombe geben. Außerdem gab es einen Mauerdurchbruch zum Nachbarhaus, damit man sich, im Falle eines Volltreffers, ins Nachbargebäude hinüberretten konnte.

Wassereimer, Pumpe, Löschsand und eine Feuerpatsche vervollständigten unsere „Ausstattung“.

– Heute weiß ich, dass dies alles bei Volltreffen kaum genutzt hätte. Die „normale“ Bombe schlug zwar selten bis in den Keller durch. Aber wenn dann das Haus über dem Keller zusammenbrach, dann wurden die Menschen in ihrem eigenen Keller verschüttet. Sehr oft brachen dann dabei Brände aus, da die gemauerten Häuser alle mit Balkenlagen in den Etagen errichtet wurden. Die Menschen erstickten und verbrannten dabei jämmerlich, wenn sie sich nicht selber ausbuddeln konnten. Alleine bei uns im Klauberger Bereich wurden ganze Familien ausgelöscht. Darunter waren auch leider viele Spielkameraden.

Besonders unser Nachbarskind Uli Ising war verschwunden und ist seitdem verschollen. Zeugen wollen ihn auf dem Nachhauseweg in der Nähe der Kreuzung Kasinostraße/Oststraße gesehen haben.

Dort ist eine der größten Bomben (20 Zentner) herunter gekommen, so dass der gesamte Kreuzungsbereich ein einziger Krater war.

Makaber war auch ein Einschlag hinter der Friedhofsmauer nahe der neuen Friedhofskapelle in ein Gräberfeld: Die aufgewühlte Erde beförderte Tote mit samt ihren Särgen nach oben, die dann verstreut da lagen.

Am anderen Ende des Friedhofs lag die alte Bahnlinie zum Nordbahnhof.  Immer wenn ich dort vorbei komme, dann sehe ich den großen Bombentrichter vor meinen Augen, der dort am Bahndamm seinen großen Trichter hinterließ. Einen Wimpernschlag weiter und er wäre bei uns gelandet.

So wurden wir nur durch die Druckwellen der herabfallenden Bomben in unserem Keller hin und her geworfen. Der Strom fiel aus und wir saßen im finsteren Keller, bis mein Vater die Petroleumlaterne angezündet hatte.

Da wir wegen des großen Luftdrucks Angst vor Lungenrissen hatten, wurde uns empfohlen die Ohren mit den Fingern zu stopfen und den Mund weit auf zu machen. Dieser Bombenregen mit diesen enormen Druckwellen wurden so die 15  längsten Minuten meines Lebens. Jede Sekunde hätte ja die letzte sein können.

Als dann die Luft „rein“ war, trauten wir uns staubbedeckt auf die Straße. Diese war mit Glas- und Dachziegelscherben übersät.  Brennende Häuser, Rauch und Funken an allen Stellen. Dazwischen herumirrende Menschen, die alle aus der Stadt wollten. – Die Kasinostraße wurde bereits seit langem als Fluchtstraße aus der Altstadt ausgewiesen -

Zuerst gingen wir noch einmal durch unser Haus und entfernten alle Gardinen, damit die durch den Funkenflug nicht entzünden werden konnten. Mein Vater mit anderen Nachbarn hielt auf dem Speicher Wache und löschte die brennenden Stücke, die da so durch die Luft geflogen kamen.

Dann machte ich mich mit unserem Notgepäck, meiner Schwester und der Mutter auf die Flucht. Wir liefen über die Margaretenstraße auf eine der „Potts Wiesen“ in der Nähe der Geleise der sogenannten Barmer Bergbahn.

Das Panorama des brennenden Solingen mit seinem immer stärker werdenden Feuersturm hat sich so in mein Gedächtnis geprägt, dass ich das auch noch heute immer vor Augen habe, wenn ich von meinem heutigen Balkon in Richtung Skyline der Stadt sehe.

Das ganze Ausmaß der Zerstörung der beiden Angriffe wurde erst an den Tag danach deutlich. Überall lagen Tote herum, die Straßen waren durch Schutt oder aufgebogene Straßenbahnschienen nicht passierbar, und die sich nun entzündeten Brennstoffvorräte in den brennenden Häusern verursachten Dauerbrandherde.

In den Brandruinen der gemauerten Wohnhäuser starrten uns leere Fensterhöhlen an. Die Altstadt, die vornehmlich aus Jahrhundertalten Fachwerkhäusern bestand, war dem Erdboden gleich.

Unsere gesamte Infrastruktur wir Straßen, Wasser-, Strom- oder Gasleitungen war zerstört.

Die Bomber verrichteten ganze Arbeit: Das alte Solingen gab‘s nicht mehr.

Die überlebenden und ausgebombten Menschen, die buchstäblich nichts als das nackte Leben retteten, wurden in Sammelunterkünften z.B. In Schulen und Gaststätten untergebracht.

Die Helfer des DRK, des SHD (Sicherheits- und Hilfsdienst) oder der NSV (Nationalsozialistische Volksfürsorge) waren Tag und Nacht für die Betroffenen im Einsatz. Sie leisteten fast Übermenschliches, um die ärgste Not zu lindern.

Viele von denen wurden einfach ins benachbarte Umland bis nach Sachsen-Anhalt evakuiert.

Erst am Kriegsende kamen sie zurück.

Und die NSDAP??

Die braunen Bonzen waren von da an Mangelware.

 

 
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Vorbemerkung:

Arbeiterfamilien waren damals nicht in Lage, das Schulgeld für ein Gymnasium aufzubringen. Von dem Besuch einer Universität ganz zu schweigen.

Diese Zweiklassengesellschaft: „Die da oben – wir da unten“ ist heute leider noch präsent.

Bei Gott sind alle Menschen gleich und viele aus dem bürgerlichen Lager haben das scheinbar vergessen.

Das geflügelte Wort von der „göttlichen Grundordnung“ bringt mich bis zum heutigen Tage an den Rand des Ärgers.

Wie war das mit uns?

1941 wurde von dem Bildungsminister Bernhard Rust auf Anordnung des Führers Adolf Hitler die Deutsche Hauptschule installiert.

Das politische Ziel war wohl, den Kindern aus Arbeiterfamilien eine bessere Ausbildung zu ermöglichen, damit sie im späteren Arbeitsleben auch Aufstiegschancen hatten. Möglicher Weise hatte das Naziregime auch daran gedacht, dass es für seine Ausdehnungsgedanken nach Osten auch genügend Menschen brauchte, um dort Verwaltungsaufgaben in den neuen Provinzen zu übernehmen.

Zu dieser Schule konnte sich niemand anmelden oder bewerben. Besonders begabte Kinder wurden von Mitarbeitern des Oberpräsidenten der damaligen Preußischen Rheinprovinz -  mit Sitz in Koblenz - ausgewählt und dann auf diese Schule geschickt. Kinder aus jüdischen Familien oder solche, die aus asozialen Verhältnissen stammten, wurden nicht berücksichtigt.

Interessant ist ebenfalls, dass es für Kinder, welche aus Familien stammten, die als ausgewiesene Gegner des Naziregimes wie Kommunisten, Sozialdemokraten oder religiös orientierte Menschen bekannt waren, keine Beschränkungen gab.

Unsere Hauptschule I wurde in der Volksschule Krahenhöhe untergebracht. So fuhren dann am Tage der Einschulung 1942 cirka 8o Jungen und Mädchen aus allen Teilen des alten Solingen, Höhscheid und Gräfrath mit der „Elektrischen“ bis zum Volksgarten um sich den neuen Aufgaben zu stellen und ihre neuen Lehrer kennenzulernen.

Diese neuen Lehrkräfte stellen sich samt und sonders als hervorragende Pädagogen dar, bei denen wir mit Freude gelernt haben. Eine ausgesprochene Nazidoktrin stand nicht auf dem Lehrplan. Dafür Rechnen, Deutsch, Physik, Erdkunde, Englisch und Sport.

Der übliche Dienst bei der Hitlerjugend fand nicht während des Unterrichtes statt.

Auf einen Erlass aus Berlin wurde im Sommer 1943 die Verlegung unserer Deutschen Hauptschule nach Tabarz in Thüringen verfügt. Die eingerichtete „Kinderlandverschickung“ sollte Kinder aus den Bomben gefährdeten Städten zur Sicherheit aufs „Land“ bringen.

Köln, Wuppertal, Remscheid und Düsseldorf waren bereits durch Bombenangriffe schwer beschädigt worden. Solingen wurde zwar damals schon des Öfteren von angloamerikanischen Flugzeugen „besucht“. Einen massiven Angriff gab es jedoch bis dato noch nicht.

So reisten dann am 21. November 1943, gegen 19 Uhr ab Solingen-Ohligs,  cirka 250 Hauptschüler von den zwei bestehenden Schulen mit ihren Lehrern in einem Sonderzug nach Thüringen. Diese abenteuerliche zwölfstündige Zugfahrt endete am frühen nasskalten Morgen in Friedrichroda. Von da an mussten wir zu Fuß durch den winterlichen Thüringer Wald bei einer Schneedecke sechs Kilometer nach Tabarz laufen, weil die HJ Gebietsführung Thüringen das Organisieren von Transportern vergessen hatte.

Dort bezogen wir für die einzelnen Klassen verschiedene Ferienhäuser, welche für diese Zwecke beschlagnahmt wurden. In jedem Haus sorgten Lagermannschaftsführer/innen aus den Reihen der HJ (Hitlerjugend) oder des BDM (Bund Deutscher Mädel) für eine politische Beeinflussung im Sinne der NSDAP.

Unsere Lehrer gaben sich alle erdenkbare Mühe, trotz des Dazwischenredens der HJ Gebietsleitung, uns ordentlich weiter zu bilden und das Elternhaus weitgehend zu ersetzen. Das Lehrerteam mit Frau Dinger, Herr Löhmer , Frau Au, Frau Wilms und Frau Sievert unter der Leitung von Rektor Hermann Hönneknövel hat sich hier für uns wahre Verdienste erworben.

Leider ging der Rektor keinem Streit mit den vorgesetzten NSDAP und HJ Parteidienststellen aus dem Weg. Er wurde abgesetzt und stand mit seiner Ehefrau, die wir als treusorgende Lagermutter kennen und schätzen gelernt hatten, fristlos und ohne Lebensmittelkarten und einem Dach über dem Kopf im Juli 1944 mit seinem persönlichen Gepäck förmlich auf der Straße. Sie mussten auf eigene Kosten sehen, wie sie wieder nach Solingen kamen.

Als wir am 23.7.44 zu einem Heimaturlaub nach Hause fuhren, da ist fast niemand aus unserer Klasse wieder nach Tabarz gefahren. Wir wollten ohne unseren Rektor, der sich so für uns eingesetzt hatte, nicht wieder zurück und zum neuen Rektor Schröder, einer NSDAP Größe, wollten wir nicht.

Die Reaktion der Behörden im sogenannten „Dritten Reich“ war hart: Die Berliner Schulbehörden teilten uns mit, dass wir in Solingen keine Schule mehr besuchen dürfen, da wir das großzügige Geschenk des kostenlosen KLV Aufenthaltes durch unseren Führer Adolf Hitler ausgeschlagen hätten.

Erst im August 1945 konnte ich wieder im Gymnasium Schwertstraße meine Schulbildung fortsetzen, da die Deutsche Hauptschule als Einrichtung der Nazis eingestellt wurde.

Über die Zeit in der Deutschen Hauptschule habe ich eine gesonderte und ausführliche Dokumentation geschrieben.

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Als ich 1942 mit Karl Heinz Zaun  zum Bombensplittersuchen nach Köln fuhr.

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Karl Heinz Zaun lebte als Pflegekind bei einer Frau Backeshoff auf der Klauberger Straße/Ecke Potshauser Straße. Diese fromme und stets fröhlich gütig wirkende Frau musste wohl von den Diakonissen ausgebildet worden sein; denn das Gesangbuch und die Bibel lagen in ihrer Stube stets in Griffweite. Sie hatte sich wohl zeitlebens Waisenkindern angenommen, um ihnen ein Zuhause Gefühl zu geben.

Dieser elternlose Karl Heinz war etwas älter als wir. Daher betrachteten wir ihn als so eine Art Anführer, der uns mit allerlei Blödsinn und Ideen, für die ich schon damals  sehr empfänglich war,  ansteckte.

In den ersten Kriegsjahren sammelten wir Kinder Granat- und Bombensplitter als Kriegsandenken. Das war damals so in Mode. Diese „Schätze“ wurden dann in Zigarrenkisten aufbewahrt. Sie waren auch begehrte Tauschartikel. Wer die meisten „Kriegsandenken“ hatte, war darauf dann sehr stolz.

Nun war Solingen in dieser Zeit, von einzelnen Bombenabwürfen abgesehen, von Angriffen verschont geblieben. Entsprechend rar waren für uns Kinder diese „Kriegsandenken“.

Da hörten wir im Mai von dem ersten großen Bombenangriff auf Köln. Der Karl Heinz erzählte uns von Bombensplittern in Massen, die dort überall herumlagen. Für uns Kinder lag Köln mal eben um die Ecke und der Karl Heinz wollte da mit seinem Fahrrad hin. Ich wäre gerne mitgefahren, aber ich hatte kein Fahrrad.

„Das macht nichts“, meinte der Karl Heinz „dann fährst Du bei mir auf dem Gepäckträger mit, das nach Köln ist ja nicht weit“.

Das Angebot war sehr verlockend. Ich besorgte mir heimlich ein kleines Kissen als Sitzunterlage für den Gepäckträger. Einen Brotbeutel hatte ich bereits von den Pimpfen und so gegen Mittag nach der Schule ging es dann zu zweit auf einem Rad nach Köln. So gegen fünf Uhr, so glaubte ich, würden wir dann wieder im Klauberg sein und dann hätten Vater und Mutter nichts gemerkt.

Nach Leichlingen machte das ja noch richtig Spaß; denn es ging ja bergab. Von dort folgten wir der alten Landstraße über Opladen, Leverkusen, Köln-Mülheim bis nach Deutz, wo ich zum ersten Mal den Dom auf der anderen Rheinseite sah.

An der Hohenzollernbrücke und am Rheinufer fanden wir tatsächlich das Ziel unserer Wünsche: Jede Menge Granat- und Bombensplitter in allen nur erdenklichen Größen. Wir sammelten auf, was wir so in unseren Taschen so verstauen konnten und die wurden sehr schwer.

So gegen 17 Uhr machten wir uns dann auf den Heimweg und das hieß dann für den Karl Heinz treten und nochmals treten. Das Tempo wurde immer langsamer, das Anhalten immer kürzer und die Erholungspausen immer  länger und mir tat zwischenzeitlich der Arsch durch das Sitzen auf dem Gepäckträger weh. Hunger und Durst machten das Ganze auch nicht angenehmer.

Die gefundenen Splitter waren inzwischen sehr sehr schwer geworden und belasteten zusätzlich. Schweren Herzens erleichterten wir unsere Fundstücke um die schwersten.

So erreichten wir dann mit viel Mühe Landwehr. Dann mussten wir fast bis zum Mangenberg bei beginnender Dämmerung schieben.

Inzwischen war wegen uns zwei im Klauberg Alarm angesagt. Hier war alles in hellster Aufregung. Auf der Klauberger Straße, so bei der Gärtnerei Dammers,  erwartete uns bereits das „Begrüßungskomitee“.

Entsprechend „freundlich“ waren die Kommentare der besorgten Nachbarn. Aber wir waren zu Hause. Wenn jetzt geglaubt wird, ich hätte dafür eine ordentliche Tracht Prügel bezogen, der irrt. Mein Vater war kein Freund von Prügel. Die Strafe war für mich brutaler:

Ich musste den Brotbeutel mit all den schönen Splittern

in die Mülltonne werfen.

 

 
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